Interview „Jeder kann sich wiederfinden“

Trier · Der Trierer Politikwissenschaftler sieht gute Chance für eine Neuauflage der großen Koalition.

 Die finale Fassung der Sondierungsergebnisse von CDU,CSU und SPD wird am Freitag im Willy-Brandt-Haus in Berlin bei einer Pressekonferenz verteilt.

Die finale Fassung der Sondierungsergebnisse von CDU,CSU und SPD wird am Freitag im Willy-Brandt-Haus in Berlin bei einer Pressekonferenz verteilt.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

28 Seiten haben die möglichen Koalitionäre nach weniger als einer Woche vorgelegt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Sondierung? Der große Wurf?

Uwe Jun: Das Papier stellt einen fairen Kompromiss dar zwischen den beteiligten Parteien. Jede kann sich da wiederfinden, weil alle bestimmte Schwerpunkte durchsetzen konnte. Darauf können mögliche Koalitionsverhandlungen aufbauen. Die SPD hat vor allem Europa und Soziales bekommen. Die CSU hat sich in der Flüchtlingspolitik durchgesetzt, es soll ja eine Art Obergrenze geben. Und die CDU kann darauf verweisen, dass sie Steuererhöhungen vermieden hat und die schwarze Null im Bundeshaushalt erhalten bleibt.

Zunächst aber muss ja bei der SPD ein Parteitag und dann die Basis den Kompromissen zustimmen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Parteimitglieder Ja sagen zu vier weiteren Jahren Groko?

Jun. Ich sehe inhaltlich keinen Grund, warum die SPD keine weiteren Gespräche mit der Union führen sollte. In der Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik sieht man durchaus die Handschrift der SPD. Sie kann darauf verweisen, dass sie nicht unerheblichen Einfluss auf die Regierungspolitik gewinnt. Ob das den Delegierten des Parteitags und den Mitglieder ausreicht, wird sich noch zeigen.

Sie hatten am Wahlabend gesagt, dass es richtig und nachvollziehbar sei, dass die SPD eine Neuauflage der Groko ablehnt und nun in die Oppostion will. Nun ist alles anders gekommen. Eine richtige Entscheidung?

Jun: Am Ende hat nach den Scheitern der Jamaika-Verhandlungen die staatspolitische Verantwortung bei der SPD eine wichtige Rolle gespielt. Ebenso wie die Erkenntnis, dass sie in einer großen Koalition auch Gestaltunsmöglichkeiten hat. Vieles, was in dem Sondierungspapier steht, wären in einer Jamaika-Koalition nicht gekommen, insbesondere die sozialen Aspekte.

Was geht denn in den Ergebnisse über die Politik der vorangegangenen Groko hinaus?

Jun: In der Bildungspolitik wollen die Koalitionäre viel weiter gehen. Der Bund will wesentlich mehr Geld in Bildung investieren. Die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse geht auch über die bisherige Gesundheitspolitik hinaus. Außerdem haben sich die drei Parteien auf zahlreiche Maßnahmen zur Entlastung von sozial Schwächeren, es soll Steuerentlastungen geben oder auch Qualifikationsprogramme für Langzeitarbeitslosen. Erkennbar ist auch, dass Europa offenbar eine bedeutendere Rolle in der Regierungspolitik spielen soll. Die Beschlüsse dazu stehen prominent auf Platz 1 in dem 28-seitigen Papier. Union und SPD wollen gemeinsam mit Frankreich Europa stärker voranbringen.

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