Gesellschaft Ein Onlinesüchtiger erzählt, ...

Trier · ... wie schön sein Leben geworden ist, seitdem es sich nicht mehr nur vor dem Computer abspielt.

 Ein junger Mann spielt „World of Warcraft“. So mancher verliert sich in der Welt, die sich auf dem Bildschirm für ihn öffnet.

Ein junger Mann spielt „World of Warcraft“. So mancher verliert sich in der Welt, die sich auf dem Bildschirm für ihn öffnet.

Foto: picture alliance / dpa/Marco Hadem

Eine Weile sei er „sehr tief unten gewesen“, sagt der junge Mann ruhig, reflektiert und ganz ohne Selbstmitleid. Er ist Mitte 20, sportlicher Typ, Jeans mit Lederjacke, klarer, offener Blick, präzise Sprache, zweifellos ein heller Kopf. Ein Typ, der nicht wirkt wie jemand, der mal tief unten war, sondern wie jemand, dem die Welt offen steht. Und tatsächlich empfindet er das so. „Jetzt ist alles möglich“, sagt er. Er habe gemerkt, wie schön das Leben sein könne. Und er genießt es, neue Sachen auszuprobieren. Jetzt, wo er die Zeit dazu hat. Weil er sein Leben nicht mehr nur vor dem Computer verbringt.

Lukas (Name geändert) leidet unter einer Krankheit, die – noch – relativ selten diagnostiziert wird: pathologisches Internetverhalten. Im Volksmund: Onlinesucht. Mit zwölf bekam er seinen ersten Computer. Mit 16 hatte er seinen letzten Freund verloren. „Da wurde der Computer interessanter als alles, was drumherum passierte“, sagt der gebürtige Eifeler. Statt zum Judo zu gehen, schaute er Videos. Statt Handball spielte er „League of Legends“, ein Action-Strategiespiel, das 2016 laut Wikipedia monatlich von 100 Millionen Menschen gespielt wurde. „Nur Dein Können zählt“, „Steige die Rangliste empor“, „Werde zur Legende“, heißt es auf der Startseite des Spiels. Im Spiel wurde Lukas zur Legende. Im echten Leben wurde er einsam und litt unter Depressionen.

„Selbst den Schlaf habe ich vernachlässigt. Mit Freunden war gar nichts mehr“, sagt der junge Mann, der nun seit zwei Jahren clean ist.

Sein Abitur schaffte er, obwohl er zurückblickend weiß, dass er damals schon süchtig war. Beim Studium jedoch scheiterte er. „Das war die erste deutlich spürbare Folge der PC-Sucht.“ Auch das zweite Studium „Digitale Medien und Spiele“ in Trier war zum Scheitern verurteilt. Schließlich passiere ja nichts, wenn man nicht zur Vorlesung gehe. Und so spielte er und ging nicht zur Vorlesung. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass das Spielen mir keinen großen Spaß mehr machte. Aber ich kannte ja nichts anderes, also bin ich am PC geblieben“, sagt er. Mit 21 fing er an, am Computer Alkohol zu trinken. Mal fünf Bier. Mal eine Flasche Schnaps.

Mit 22 ahnte er, dass er ein ernstzunehmendes Alkoholproblem hatte. Und zwei Jahre später, während Gleichaltrige ihren ersten Job antraten oder mit dem Rucksack um die Welt reisten, checkte Lukas zur stationären Therapie in eine Klinik ein. Dort lernte er, dem Alkohol zu entsagen. Und erst dort wurde ihm bewusst, dass er „ein Medienproblem“ habe.

Ein Ampelmodell hilft ihm seitdem dabei, clean zu bleiben. Im grünen Bereich ist die Nutzung des Computers für alles, was mit seiner Ausbildung und Arbeitsstelle zu tun hat. Im gelben Bereich sind Serien und Filme, die er an fünf Tagen die Woche jeweils zwei Stunden lang schauen darf. Im roten Bereich sind Spiele und „Surfen zum Zeitvertreib“.

Lukas war skeptisch, ob das gut gehen kann, da es einem „kontrollierten Konsum“ ähnele,  der bei Alkohol praktisch nie funktioniere. „Aber es klappt erstaunlicherweise ziemlich gut“, sagt der junge Mann, der weiter regelmäßig an den Treffen einer Selbsthilfegruppe bei der Trierer Suchtberatung „Die Tür“ teilnimmt.

Sein Leben hat sich durch die Therapie komplett verändert. Er habe das Ganze als Chance begriffen. Und er genießt es nun enorm, einen normalen Job zu haben – Lukas hat sich für eine Ausbildung im sozialen Bereich entschieden und arbeitet viel mit Kindern. Er hat Spaß daran, joggen zu gehen, mit Freunden und Bekannten – die es in seinem Leben nun wieder gibt – Gesellschaftsspiele zu spielen, zu lesen oder auch bewusst Musik zu hören. Das habe er früher nie getan.

Warum er überhaupt in die Sucht abgerutscht ist, weiß er nicht. „Wahrscheinlich hat mir irgendwas gefehlt“, sagt er. Erfolg und Anerkennung vielleicht. Denn die sind in Videospielen leicht zu finden. Und viele dieser Spiele haben laut Suchtberater Christoph Linn ein hohes Abhängigkeitspotenzial: Man löst Aufgaben und wird stärker, es folgt immer eine neue Runde, immer neue Herausforderungen, neue Siege. Eine Erfolgsspirale, bei der reichlich Glückshormone ausgeschüttet werden.

Lukas rät allen, die sich immer wieder in solchen Spielen verlieren, sich zu fragen: Mache ich das wirklich gerne oder mache ich das, weil ich es machen muss? Und: Welchen Stellenwert hat das Spielen im Vergleich zu Familie, Freunden oder Sport? Das Bewusstsein für die Sucht, unter der Lukas litt, sei in der Gesellschaft „noch nicht ganz da“, sagt er. Dabei sei er sich sicher, dass es viele Fälle gibt. Und den Betroffenen macht er Mut: „Jeder kann den Weg raus schaffen“. Das Leben werde dadurch einfach schöner.

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