Geschichte Zwei Schriftsteller, ein Krieg und die Eifel

Bitburg/Trier · Vor 75 Jahren: Der Krieg geht langsam zu Ende, es ist kurz vor Weihnachten, als über Bitburg und Trier die Fliegerbomber auftauchen. Nach dem Angriff sind 85 Prozent der Eifelstadt zerstört. Und die Region hinterlässt Spuren in der Weltliteratur.

 Ernest Hemingway (links) war 18 Tage lang als Kriegsberichterstatter im Hürtgenwald. Seine Erlebnisse flossen in einen seiner Romane mit ein.

Ernest Hemingway (links) war 18 Tage lang als Kriegsberichterstatter im Hürtgenwald. Seine Erlebnisse flossen in einen seiner Romane mit ein.

Foto: TV/privat

10. November 1944: Rote Flecken im Tal der Weißen Wehe. Blut in der Eifel. Blut der Soldaten. Zehntausende. Amerikanisch und deutsch. Es ist bis dato die längste Schlacht der US-Army. „Das Wetter war umgeschlagen. Es war kalt, ein halber Sturm wehte, und vor uns lagen wie eine Mauer die schwarzen Forste der Schnee-Eifel, wo die Drachen hausten.“ So beschreibt Ernest Hemingway (1899-1961) den Vormarsch der 22. Kompanie der vierten US-Division im Hürtgenwald, in der Nordeifel. Dort, in der Nordeifel, schlugen die Amerikaner nach dem Urteil eines Beteiligten die „verlustreichste und schlechtest geführte Schlacht, die unsere Armee (in Europa) geschlagen hat“.

Dass Hemingway überhaupt bei der Invasion im Westen mit dabei war, hatte wohl mit seiner späteren Frau Mary Welsh zu tun, sagt der Professor für Amerikanistik, Kurt Müller. Sie war Journalistin und wollte vom Krieg berichten. Also ließ er sich vom amerikanischen Magazin Collier‘s als Korrespondent engagieren, um über die Invasion in Europa zu berichten. Es erschienen ganze zwei Berichte von Hemingway. Der amerikanische Meister der Kurzgeschichte wurde 1926 mit dem Roman „Fiesta“ berühmt.

18 Tage war Hemingway mit der kämpfenden Truppe im Hürtgenwald an vorderster Front – gegen alle Vorschriften bewaffnet. Seine Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg flossen in den Roman „Über den Fluss und die Wälder“ (1950) ein, wo er auch die Schlacht vom Hürtgenwald erwähnt. Der Roman wurde von den Kritikern zerrissen.

Der Hürtgenwald hat auch noch 75 Jahre später Wunden. In vielen älteren Fichten stecken Munitionssplitter. Forstleute und die Sägewerker in der Region wissen das. Sie untersuchen die Stämme vor der Verarbeitung mit besonderen Geräten. Der Hürtgenwald hat nicht vergessen, wie Autorin Elke Silberer in einem Artikel schreibt.

Hürtgenwald. „Hurtgewald“, sagen die Amerikaner. Der Wald verletzt. Er verletzt die Körper und die Seelen. Auch die des späteren amerikanischen Nobelpreisträgers. Stacheldrahtfallen, Minenfelder, Sprenggranaten. Der finstere Forst wurde zur „Totenfabrik“, wie es der Schriftsteller Ernest Hemingway formulierte. Nach den Kämpfen in der Nordeifel ändert er seine Meinung vom Krieg. Die Bilder der Waldschlachten, die er auf wenigen Seiten in seinem Roman beschreibt, zeigen keine Heldentaten oder starke Machos. „In Hürtgen gefroren die Toten, und es war so kalt, dass sie mit roten Gesichtern gefroren. Sehr sonderbar“, schreibt der Schriftsteller.

Wie viele junge Soldaten in den Wäldern sterben, ist umstritten. Experten sprechen von 20 000, 30 000, sogar 70 000. Dazu kamen tausende Verletzte und Vermisste – wie der amerikanische Soldat Robert Cahow, vermisst seit dem 13. Dezember 1944. Seine Überreste wurden erst im Jahr 2000 im Hürtgenwald gefunden.

Sicher ist: Es ist eine der verlustreichsten Schlachten in Westeuropa im Zweiten Weltkrieg. Noch heute sind Panzersperren zu sehen. Fünf Monate, von September 1944 bis zum Februar 1945, benötigen die anrückenden US-Truppen, um das insgesamt 140 Quadratkilometer umfassende Waldplateau einzunehmen. „Wir bekamen eine gewisse Menge Ersatz, aber ich kann mich besinnen, dass ich dachte, es würde einfacher und zweckdienlicher sein, sie in der Gegend, wo man sie auslud, zu erschießen, als den Versuch machen zu müssen, wo sie getötet wurden, zurückzuschaffen und zu begraben“, schreibt Hemingway in dem späteren Roman und drückt damit die Abstumpfung und Desillusion aus, die in der Eifel herrschten. Keine Spur einer Heroisierung des Krieges oder Mannesmutes, für die er sonst bekannt war.

Anfang Dezember kehrt der erkrankte Hemingway zurück nach Paris. Zurück kam er nie wieder. In seiner Erinnerung bleibt diese Region „eine Gegend, in der es äußerst schwierig war, am Leben zu bleiben, selbst wenn man nichts weiter tat, als dort zu sein“.

Der zweite Schriftsteller, der über den Krieg in der Eifel schreibt, ist nicht selbst vor Ort. Ihn erreichen Nachrichten aus der Region über einen Umweg.

Weihnachten 1944 in Bitburg. An Heiligabend fallen Bomben aus dem Himmel. Die Stadt ist fast komplett zerstört. Seit Beginn der Ardennen-Offensive kurz vor Weihnachten 1944 ist die Eifel wochenlang das Ziel schwerer Luftangriffe. Alleine am 14. Januar 1945 fallen bei einem der letzten großen Angriffe 180 Bomben auf die Stadt. Es ist ein letzter harter Schlag kurz vor dem Ende des Krieges: Zwei Monate später ist Bitburg von den Nazis befreit. Amerikanische Soldaten marschieren durch die ehemalige Adolf-Hitler-Straße, die heute Hauptstraße heißt. Doch wie eine Straße sieht sie nicht mehr aus. Überhaupt, die Konturen der Stadt sind unter Bomben und Granaten verschwunden. Bitburg liegt in Schutt und Asche.

Ein Fotograf der 166. Signal Photo Company macht am 28. Februar 1945 ein Bild der Adolf-Hitler-Straße: Einige wenige Gebäude stehen noch, meterhoch häufen sich dazwischen die Trümmer. Verwüstete Fahrzeuge, schwarze Figuren, eine zerrissene Fahne.

Vermutlich im März 1945 landet die Fotografie aus Bitburg auf einem Schreibtisch in Santa Monica, Kalifornien. Da liegen viele andere Zeitungsausschnitte und Bilder aus dem Krieg. Szenen aus dem Spanischen Bürgerkrieg, vom deutschen Überfall auf Polen, Bilder von erblindeten Kriegsverletzten aus Japan und Deutschland, vom Schriftsteller Lion Feuchtwanger hinter dem Stacheldrahtzaun im Konzentrationslager. Der Schreibtisch gehört Bertolt Brecht (1898-1956), der 1933 Deutschland verließ.

Der Dramatiker und Lyriker hatte sie alle gesammelt und mit Vierzeilern versehen, um „Fotoepigramme“ zu schaffen. Seit 1940, als er in Finnland im Exil war. Im Einklang mit seiner Absicht, mit literarischen Mitteln verändernd in Politik und Gesellschaft einzugreifen, veröffentlicht er die Fotoepigramme unter dem Titel „Kriegsfibel“. Das Werk hat nicht den gleichen Erfolg wie berühmte Theaterstücke wie „Die Dreigroschenoper“ oder „Mutter Courage und ihre Kinder“, doch es teilt den selben reflektierenden Charakter.

In der „Kriegsfibel“ verleiht Brecht den stummen Bildern des Krieges eine Stimme. Die Fotos, die aus Illustrierten stammen, sollen zum „verweilenden Betrachten“ einladen und dabei helfen, die Zusammenhänge des Krieges zu verstehen. Insgesamt sind es 69 Fotos und Kleingedichte, die 1955 erscheinen. Brecht sieht die Bilder der Zerstörung, sieht verletzte Menschen, sieht Täter und Opfer, sieht Bomben und Asche und schreibt: „Das sind die Städte, wo wir unser Heil!/Den Weltzerstörern einst entgegenröhrten. /Und unsre Städte sind auch nur ein Teil/Von all den Städten, welche wir zerstörten.“

Diese vier Zeilen begleiten das Bild von Bitburg in der Welt. Eine „tote Stadt“, wie sie die Amerikaner nennen. 85 Prozent der Gebäude lagen zertrümmert am Boden. „In tausend Jahren erbaut, verheert in einem Mond“, schreibt Brecht über das Schicksal der deutschen Städte. Dem Dramatiker geht es nicht nur darum, das Elend des Krieges und den Preis der Befreiung zu zeigen. Er will damit anregen und monieren. So richtet er sein Schlusswort an Bitburg, Berlin und Dresden: „Und nun vergrabt euch nicht und kämpfet mit/ Und lernt das Lernen und verlernt es nie!“

Auch Trier wurde in diesem Winter nicht verschont, wie die Stadtverwaltung mitteilt. Weihnachten 1944 gleicht Trier einer Geisterstadt. Anstatt eines Gottesdienstes und Weihnachtsstimmung herrscht Angst. Hunderte schwere Lancaster-Bomber verwandeln die Altstadt mit drei schweren Luftangriffen am 19., 21. und 23. Dezember in ein riesiges Trümmerfeld. In Trier herrscht eine unheimliche Stille. Kurz zuvor wurde die Stadt von fast der gesamten Zivilbevölkerung verlassen. Das Leben, das noch in der Stadt herrscht, spielt sich fast ganz unter der Erde ab – in Bunkern, Kellern und Stollen.

Bernhard Hild, Oberwachtmeister der Reserve-Schutzpolizei, führt im Hochbunker am Augustinerhof Buch über Bombardements und Artillerie-Angriffe. Bilanz bis Februar 1945: „200 Tote, 500 Verletzte und 20 Vermisste. 45 Prozent der Stadt zerstört.“ Am Vormittag des 2. März 1945 weht das Sternenbanner der Amerikaner auf dem Hotel Porta Nigra – die unmittelbaren Schrecken des Kriegs sind für Trier vorbei.

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