Aus dem Archiv „Es hat ein paar Sekunden gedauert, bis er tot war“

Trier · Vor 20 Jahren wird ein Rentner von seiner Tochter erdrosselt. Hätte die Frau geschwiegen, wäre das Verbrechen nie entdeckt worden.

 Beamte der Trierer Mordkommission lassen sich von französischen Kollegen die Stelle bei Draguignan zeigen, wo das Skelett gefunden wurde.

Beamte der Trierer Mordkommission lassen sich von französischen Kollegen die Stelle bei Draguignan zeigen, wo das Skelett gefunden wurde.

Foto: Staatsanwaltschaft Trier

„Ich habe meinen Vater umgebracht.“ Mit diesen Worten meldet sich eine Frau telefonisch bei der Bitburger Polizei. Es ist ein Dienstagmittag Ende März 2005, und der Polizist am anderen Ende der Leitung glaubt zunächst an einen schlechten Scherz. Erst recht, als sich wenig später herausstellt, dass die Anruferin offenbar psychisch krank und deshalb auch in Behandlung ist. Die Mitte 30-jährige Frau wird auf die Bitburger Polizeiinspektion gebeten, wo sie die Aussage wiederholt.

Da die Mutter der Frau in einem Ort nur wenige Kilometer entfernt wohnt, sollten sich die Angaben rasch überprüfen lassen, entscheiden die Beamten. Eine Streife trifft die damals 56-Jährige auch tatsächlich zu Hause an. „Ich sage nichts über den Verbleib meines Mannes“, raunzt die Frau die Beamten an, „nur über meinen Anwalt.“

Ab diesem Moment sei den Ermittlern klar gewesen, „dass irgendetwas an der Sache faul sein muss“, erinnert sich der Trierer Oberstaatsanwalt Eric Samel (44). Doch zu diesem Zeitpunkt haben die Fahnder nichts in der Hand – außer dem Geständnis der psychisch angeschlagenen Tochter.

Weil sie noch aussagt, die Leiche des zuvor erdrosselten Vaters mit ihrer Mutter nach Südfrankreich gebracht und dort in einem Waldstück unter Reisig versteckt zu haben, bitten die Beamten ihre französischen Kollegen um Amtshilfe. Parallel dazu prüfen die Ermittler, ob es bei den Behörden Auffälligkeiten über den vermeintlich toten Vater gab. Ohne Erfolg. Der Mann kassiert weiter seine Rente von 1560 Euro monatlich, und wenn ein Ausweis abgelaufen ist, wird stets ein neuer beantragt. Nur: Der Mann erscheint nie selbst. Da, wo es nötig wäre, geht seine Frau hin und legt eine Vollmacht des Mannes vor. Alles gefälscht, wie sich später herausstellt.

Aus Frankreich ist inzwischen die Bestätigung eingetroffen, dass vier Jahre zuvor bei Draguignan in der Provence die sterblichen Überreste eines unbekannten Toten gefunden wurden. „Das war der Wendepunkt“, erinnert sich der damals für den Fall zuständige Staatsanwalt Eric Samel, „sonst wäre aus der ganzen Sache nichts geworden.“

Aus dem Archiv: „Es hat ein paar Sekunden gedauert, bis er tot war“
Foto: TV/Schramm, Johannes

Ohne Leiche hätte es außer dem Verschwinden des Vaters nichts gegeben, was die Aussagen der Tochter gestützt hätte. So aber fliegen zwei Trierer Staatsanwälte und drei Mord­ermittler nach Südfrankreich, um sich den Fundort der menschlichen Knochen anzuschauen und mit den Kollegen über den Fall zu sprechen. Durch einen Abgleich des genetischen Fingerabdrucks steht inzwischen zweifelsfrei fest, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um den gesuchten Rentner handelt. Ein Trierer Bestatter holt die Knochen vor Ort ab und bringt sie in die Homburger Rechtsmedizin.

Im Schlafzimmer (roter Pfeil) des mit seiner Ehefrau bewohnten Hauses wurde der Frührentner erdrosselt.

Im Schlafzimmer (roter Pfeil) des mit seiner Ehefrau bewohnten Hauses wurde der Frührentner erdrosselt.

Foto: TV/Fusenig, Cornel

Nach Angaben der Tochter soll die Mutter dem tyrannischen und gewalttätigen Ehemann im Mai 1999 tagelang ein überdosiertes, starkes Beruhigungsmittel gegeben haben, bis der Frührentner „irgendwann nicht mehr aufstehen konnte und schließlich bewusstlos im Bett lag“, berichtet die Tochter später im Prozess. „Da habe ich mich entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen.“ Sie nahm aus der Garage ein orangefarbenes Nylonseil, ging ins Schlafzimmer der Eltern und legte dem Bewusstlosen das Seil um den Hals. „Dann habe ich zugezogen“, schilderte sie rückblickend das Gewaltverbrechen, und: „Es war schwierig, hat ein paar Sekunden gedauert.“

Danach rief sie ihre Mutter. „Sie war erschrocken, hat mir aber keine Vorwürfe gemacht“, sagte die Tochter später in der Gerichtsverhandlung. Sie hätten überlegt, was sie mit dem Leichnam machen sollten. Am nächsten Morgen fuhren die beiden Frauen mit dem in blauen Plastiktüten verpackten Toten im Kofferraum ins 1150 Kilometer von ihrem damaligen Wohnort Overath bei Köln entfernte Draguignan. Bei dem Gedanken daran schaudert es Kriminalhauptkommissar Dirk Finkler (50) noch heute. „Die mussten doch Bammel haben, entdeckt zu werden“, sagt der damals mit dem Fall befasste Ermittler.

In der Garage des Anwesens in Overath  wurde der in Tüten verpackte Leichnam des Frührentners in den Kofferraum seines Wagens verfrachtet.

In der Garage des Anwesens in Overath wurde der in Tüten verpackte Leichnam des Frührentners in den Kofferraum seines Wagens verfrachtet.

Foto: Rolf Seydewitz

In einem abgelegenen Waldgebiet versteckten sie den verpackten und verschnürten Leichnam. Am nächsten Tag ging es wieder zurück ins heimatliche Overath. Nachbarn und Bekannten erzählten Mutter und Tochter, dass der Vater ein Haus in Frankreich gekauft habe und der Rest der Familie bald folgen werde. Ein paar Monate später zog die Familie tatsächlich um – erst nach Südfrankreich, 2004 dann in die Nähe von Bitburg. Da war der Vater schon fünf Jahre tot.

Die Ehefrau des getöteten Frührentners mit ihrer Verteidigerin Karin Rappenhöner während des inzwischen über zehn Jahre zurückliegenden Prozesses in Trier.

Die Ehefrau des getöteten Frührentners mit ihrer Verteidigerin Karin Rappenhöner während des inzwischen über zehn Jahre zurückliegenden Prozesses in Trier.

Foto: Friedemann Vetter

Bis der gewaltsame Tod des Frührentners gesühnt wird, vergehen weitere vier Jahre. Ende 2006 wird erst die Witwe, sieben Wochen später auch die Tochter verhaftet. Der saarländische Toxikologe Professor Thomas Krämer hatte inzwischen in den Knochen und Haaren des Opfers das Neuroleptikum Truxal nachgewiesen und daraus Rückschlüsse auf die zuletzt gegebene Konzentration gezogen. „Das war 2005 eigentlich noch gar nicht möglich“, sagt Oberstaatsanwalt Eric Samel. Das Ergebnis der toxikologischen Untersuchung habe die Glaubwürdigkeit der Tochter untermauert und sei ein wesentliches Indiz für die spätere Verurteilung der beiden Frauen gewesen.

Der heutige Oberstaatsanwalt Eric Samel vertrat im Prozess am Trierer Landgericht die Anklage. TV-Foto: Friedemann Vetter

Der heutige Oberstaatsanwalt Eric Samel vertrat im Prozess am Trierer Landgericht die Anklage. TV-Foto: Friedemann Vetter

Foto: vetter friedemann

Der Prozess am Trierer Landgericht beginnt wegen der langwierigen Ermittlungen und des mehrfach widerrufenen und dann erneuerten Geständnisses der Tochter erst im Juli 2007. Er zieht sich über neun Monate und 24 Verhandlungstage. Die Witwe leugnet bis zum Schluss, etwas mit dem Gewaltverbrechen zu tun zu haben. Die zuletzt als Heilerin tätige Frau räumt lediglich ein, der Tochter beim Transport des Leichnams geholfen und die Unterschrift ihres Mannes gefälscht zu haben, um die Rente zu kassieren.

Die fünfköpfige Kammer glaubt ihr nicht. Die Ehefrau wird im April 2008 schließlich wegen Anstiftung zum Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu einer zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die wegen Totschlags verurteilte Tochter kommt mit zehn Jahren davon.

Beide sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

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