Zweiter Jahrestag Die politischen und rechtlichen Folgen: Was bleibt nach zwei Jahren Flutkatastrophe?
Mainz · Ein Untersuchungsausschuss und mehrere Staatsanwaltschaften beschäftigen sich seit mehr als anderthalb Jahren mit der Flutnacht und den Folgen. Darunter die Frage: Wer hat versagt? Was wir wissen und wann wir mit Ergebnissen rechnen können.
Auch zwei Jahre nach der größten Naturkatastrophe in der Geschichte von Rheinland-Pfalz sind die politischen und rechtlichen Folgen noch ungeklärt. Die wichtigste noch offene Frage liegt bei der Staatsanwaltschaft Koblenz. Seit fast zwei Jahren führt sie ein Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, und gegen den damaligen Leiter der Technischen Einsatzleitung (TEL), einen freiwilligen Feuerwehrmann, wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung. Im Kern geht die Staatsanwaltschaft der Frage nach, ob die Folgen der Flut zumindest teilweise hätten vermieden werden können, wenn die Beschuldigten anders gehandelt hätten.
Die Ermittlungen der Koblenzer Staatsanwaltschaft
Wie die Staatsanwaltschaft vergangene Woche mitteilte, könnte sie bis Jahresende zu einem Ergebnis kommen. Die Ermittlungen seien zwar weitgehend abgeschlossen, so der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler. Vor einer Bewertung der Ermittlungsergebnisse wolle man sich aber noch durch ein Gutachten absichern. Voraussichtlich bis Oktober wird Dominic Gißler, Professor für Führung im Bevölkerungsschutz an der Berliner Akkon Hochschule für Humanwissenschaften, seine Expertise einbringen. Gißler, der auch schon ein Gutachten für den Untersuchungsausschuss angefertigt hatte, soll bewerten, welche Optionen die Technische Einsatzleitung im Juli 2021 überhaupt hatte, anders zu handeln. Im Ausschuss hatte Gißler kritisiert, dass es in Deutschland an Experten fehle, die sich um die Führung solch komplexer Einsätze kümmern könnten.
Beim neuen Gutachten steht auch die Frage im Raum, „ob die Beschuldigten sich in unmittelbaren zeitlichen Vorfeld der Flut aufgrund von Wetter- und Niederschlagsprognosen ausreichende Kenntnisse und Informationen hätten beschaffen können“. Warum die Koblenzer Staatsanwaltschaft diese für sie offenbar essenzielle Frage erst jetzt klären lässt, ist nicht bekannt. Ob am Ende Anklage erhoben wird, könnte deshalb maßgeblich von dem Inhalt des Gutachtens abhängen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt indes weiterhin nicht gegen Mitglieder der rheinland-pfälzischen Landesregierung. „Anlass, die Ermittlungen auf weitere Personen auszudehnen, besteht nach derzeitigen Erkenntnissen jedenfalls nicht“, heißt es in der Mitteilung aus Koblenz. Schon zu Jahresbeginn hatte Generalstaatsanwaltschaft Harald Kruse im Untersuchungsausschuss erklärt: Dass der Polizei sowie der Trierer Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion entgegen ihrer Behauptung womöglich doch ein ausreichendes Lagebild vorgelegen habe, sei für die Staatsanwaltschaft kein ausreichender Grund für einen Anfangsverdacht. Entscheidend sei, dass ADD-Präsident Thomas Linnertz „Handlungsoptionen“ gehabt hätte, die Todesfälle zu verhindern. „Diese Voraussetzungen sehen wir nach wie vor nicht als erfüllt an“, so Kruse im Januar.
Der Flut-Untersuchungsausschuss
Der Untersuchungsausschuss hat Ende April nach der Befragung von 22 Sachverständigen und 227 Zeugen seine Beweisaufnahme geschlossen. Der Abschlussbericht des Gremiums könnte noch Ende des Jahres im Landtag besprochen werden, wie ein Landtagssprecher auf Anfrage unserer Zeitung erklärte. Einen konkreten Zeitpunkt dafür gebe es aber noch nicht. „Mit dem Abschluss der Besprechung im Plenum ist der Untersuchungsausschuss beendet“, so der Sprecher. Zuvor aber wird der Vorsitzende einen Bericht bis etwa Mitte August verfassen - darin ist die Beweisaufnahme zusammengefasst. Politisch wird der Bericht im Anschluss erst durch die Stellungnahmen der Fraktionen. Folgen wird der Bericht eher nicht haben. In mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit dem U-Ausschuss waren allerdings im vergangenen Jahr bereits zwei Minister - Roger Lewentz (SPD) und Anne Spiegel (Grüne) - zurückgetreten. Noch dazu wird der Katastrophenschutz im Land völlig neu aufgestellt. Auf Rücktrittsforderungen gegen Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) und ADD-Präsident Thomas Linnertz (SPD) reagierte die Landesregierung nicht.
Ob es wirklich bis Jahresende mit dem Abschlussbericht klappt, ist allerdings noch offen. Der Ausschuss müsse dazu die Ergebnisse von Gißlers neuem Gutachten für die Staatsanwaltschaft kennen, sagte der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, am Mittwoch in Mainz. Demnach wollen die Obleute der Fraktionen kommende Woche über das weitere Vorgehen beraten.
Der Fall Begoña Hermann
Seit Ende Februar läuft gegen die ehemalige Vizepräsidentin der Trierer ADD Begoña Hermann (SPD) ein Disziplinarverfahren. Der Verdacht: Die ehemalige politische Beamtin könnte kurz nach der Flutkatastrophe einen dienstlichen Anlass konstruiert haben, um für eine private Reise eine Einreisegenehmigung von den US-Behörden zu erhalten. Wegen Corona-Beschränkungen waren private Reisen in die USA zum damaligen Zeitpunkt eigentlich nicht möglich. Einen Monat zuvor war bekannt geworden, dass Hermann - damals für den Katastrophenschutz zuständige Abteilungsleiterin - kurz nach der Flutkatastrophe zwei Wochen lang Urlaub gemacht hatte. Hermann hatte bei ihrer Vernehmung diese Reise zunächst gar nicht und dann nur scheibchenweise auf Nachfrage erwähnt.
Das Disziplinarverfahren gegen Hermann läuft allerdings mehr als vier Monate später immer noch. Fragen dazu beantwortet das Innenministerium nur noch knapp. Man könne derzeit „keine tiefergehenden Informationen“ zum noch laufenden Verfahren geben, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Zeitung. „Das Verfahren wird mit der gebotenen Sorgfalt geführt und die Ermittlungsmaßnahmen nehmen nun mal einige Zeit in Anspruch.“ Hermann droht laut Innenminister Michael Ebling (SPD) die Kürzung oder Aberkennung ihres Ruhegehalts.
Neben dem Disziplinarverfahren läuft gegen Hermann auch ein Ermittlungsverfahren bei der Mainzer Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der uneidlichen Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Michael Frisch hatte Anzeige erstattet und wirft Hermann vor, falsche Angaben zu ihrem Aufenthaltszeitraum nach der Flut im Ahrtal gemacht zu haben. Wie die Mainzer Staatsanwaltschaft auf Anfrage unserer Zeitung mitteilte, hat sie über den Fall noch nicht endgültig entschieden. Es lasse sich auch nicht verlässlich prognostizieren, welchen Zeitraum die Prüfung noch in Anspruch nehme.
Der Fall Thomas Linnertz
Dem Trierer ADD-Präsidenten brachte der Fall Hermann nachträglich ebenfalls Ärger ein. Zwar betonte das Innenministerium stets, dass Linnertz in den Fall nicht involviert gewesen sei. Der Präsident hatte Hermanns Urlaub aber genehmigt. Nach seiner letzten Aussage vor dem Untersuchungsausschuss hatte der CDU-Obmann, Dirk Herber, im Mai Strafanzeige gegen Linnertz wegen uneidlicher Falschaussage erstattet. Die CDU wirft ihm vor, dem Untersuchungsausschuss Inhalte verheimlicht zu haben, die er im Anschluss in einem Interview mit Journalisten preisgab. Seitdem ermittelt die Mainzer Staatsanwaltschaft - bislang noch ohne Ergebnis. Derzeit werte man das Protokoll der Sitzung aus, so die Staatsanwaltschaft auf Anfrage unserer Zeitung. „Den Vorwurf einer vorsätzlichen Falschaussage weise ich in aller Entschiedenheit zurück“, kommentierte Linnertz damals den Fall.