Literatur So starke Frauen sah man selten

Trier · Eine Trierer Wissenschaftlerin erklärt, warum die Erfolgsserie „Game of Thrones“ so viele Menschen fasziniert.

 Königin Daenerys reitet voran. Sie gehört zu den stärksten Frauenfiguren bei "Game of Thrones".

Königin Daenerys reitet voran. Sie gehört zu den stärksten Frauenfiguren bei "Game of Thrones".

Foto: pa/obs/© 2016 Home Box Office, I/Sky Deutschland

All der Sex, all das Blut und die unerwarteten Wendungen sind sicher hilfreich. Ebenso wie die grandiosen Landschaftsaufnahmen und die Special Effects. Doch es reicht nicht, um zu erklären, warum  die HBO-Serie „Game of Thrones“  (deutsch „Spiel der Throne“) in mehr als 80 Ländern auf fünf Kontinenten von so vielen Millionen Menschen verschlungen wird. Menschen, die es gar nicht erwarten können, dass der 14. April kommt. Jener Tag an dem die erste Folge der achten und letzten Staffel erscheint. Jener Tag, ab dem sie endlich herausfinden können, welche der vielen heiß diskutierten Theorien über das Ende der Saga der Wahrheit am nächsten kommt.

Die Erfolgsserie basiert auf der Buchreihe „A Song of Ice and Fire“ (deutsch „Das Lied von Eis und Feuer“) von George R. R. Martin. Genau wie sein Vorbild J.R.R. Tolkien im „Herr der Ringe“ hat Martin eine ganze Welt erschaffen – mit Kontinenten, Völkern, Religionen, Sprachen, Geschichtsbüchern und Familienstammbäumen. Und doch sind die Werke grundlegend verschieden.

Zum Einen, weil das Fantastische bei „Game of Thrones“ anders als im „Herr der Ringe“ fast schon Nebensache ist. In der äußert komplexen Handlung, die von ungewöhnlich vielen Hauptfiguren vorangetrieben wird, geht es grob zusammengefasst um Folgendes: Auf dem fiktiven Kontinent Westeros entbrennt nach dem Tod von Herrscher Robert Baratheon ein Streit um die Macht. Erbittert kämpfen sieben Adelsgeschlechter in einer Welt, die an das europäische Mittelalter erinnert, um den Eisernen Thron. Auch dann noch, als längst klar ist, dass sie einen gemeinsamen Feind haben, der alles Leben auf diesem Kontinent auszulöschen droht. Denn hoch im Norden hinter einer gewaltigen Mauer aus Eis formieren sich nicht nur Wildlinge zu einer riesigen Armee, sondern auch untote, aber extrem tödliche „Weiße Wanderer“.

„Es ist ein Historiendrama mit Fantasy-Elementen“, sagt die Anglistin Britta Colligs (31), die an der Trierer Universität über Fantasy-Literatur promoviert und dort ein (völlig überlaufenes) Seminar über George R. R. Martins Bücher gegeben hat und schon mehrfach eingeladen wurde, Vorträge über Martins Frauenfiguren zu halten. In „Game of Thrones“ geht es um Politik, Macht und Intrigen gewürzt mit spektakulären Kampfszenen, reichlich nackter Haut und magischen Wesen – darunter Drachen, weinende Bäume, treue Riesenwölfe, dreiäugige Raben oder mysteriöse Priesterinnen.

Der wahre Grund dafür, dass die Geschichte derart viele Menschen fasziniert, sind nach Ansicht der Trierer Wissenschaftlerin aber die Figuren. „Sie sind die treibende Kraft“, sagt Colligs. Denn die meisten Handelnden sind weder gut noch böse. „Sie sind multidimensional“, betont die Anglistin. Sie entwickeln sich. Sie verändern sich – sind mal mehr und mal weniger sympathisch. Und Martin erlaubt es sich, liebgewonnene Hauptfiguren einfach sterben zu lassen. „Das macht es realistischer.“

 Die Trierer Anglistin Britta Colligs befasst sich wissenschaftlich mit den Büchern, die der Serie „Game of Thrones“ zugrundeliegen.

Die Trierer Anglistin Britta Colligs befasst sich wissenschaftlich mit den Büchern, die der Serie „Game of Thrones“ zugrundeliegen.

Foto: TV/Katharina de Mos

Besonders angetan haben es Colligs die Frauen, die so stark sind, wie man sie in Fantasy-Romanen oder -Filmen noch selten erlebt hat. Kein Vergleich zum „Herrn der Ringe“, der den wenigen zentralen Frauenrollen nur sehr wenig Text oder Zeit auf der Leinwand zugesteht. Was aber ist das Besondere an Martins Heldinnen? Gemeinsam mit Colligs wirft unsere Redakteurin einen analysierenden Blick auf ein paar besonders interessante Ladys:

Colligs Lieblingsfigur ist Sansa Stark (gespielt von Sophie Turner), die hübsche Tochter von Eddard und Catelyn Stark, den Herrschern im Norden des Kontinents. „Ihre Entwicklung ist super spannend“, sagt Colligs. Denn Sansa muss durch die Hölle gehen, ehe sie zu einer eigenständig handelnden, selbstbewussten Frau wird. Sie startet als naive kleine Prinzessin, die keinen anderen Wunsch hat, als den blonden, blauäugigen Prinzen und späteren König Joffrey zu heiraten. Dieser ist übrigens eine der wenigen eindimensionalen Figuren. Entpuppt sich Joffrey doch als durch und durch böse und grausam. Er lässt Sansas Vater töten und präsentiert ihr hämisch dessen aufgespießtes Haupt, worunter die junge Frau sehr leidet. Immer wieder gerät Sansa in die Fänge mehr oder weniger brutaler Männer, ehe sie sich befreit und zu einer kalten, kalkulierenden Regentin wird, die ihrer Familie jedoch treu bleibt.

Wie anders ist da Sansas jüngere Schwester Arya Stark  (Maisie Williams). „Ein rebellisches Kind, das so gar nicht in die klassische Familienstruktur passt“, sagt Colligs. Schon als Kind erinnert Arya mit ihrem Schwert und Bogen eher an einen wilden Jungen. Aus dem Wunsch, den Tod ihrer Eltern und ihres Bruders zu rächen, entwickelt sich die Kleine  nach zahlreichen traumatischen Erfahrungen zu einer eiskalten Killerin. Immer wieder ist sie auf ihren weiten, gefährlichen Reisen gezwungen, ihre Identität zu verschleiern, indem sie sich als Junge verkleidet. Als sie Mitglied einer mörderischen Sekte wird, gibt sie sich selbst sogar ganz auf. „Sie hat viel mehr Wärme verloren als Sansa“, sagt Colligs, die gespannt ist, ob Arya ihr eiskaltes Pokerface beibehält, wenn sie wieder mit ihrem geliebten Halbbruder Jon Snow vereint ist.

 Diese Krone wollen in  „Game of Thrones“ alle erobern.

Diese Krone wollen in  „Game of Thrones“ alle erobern.

Foto: Robin Utrecht

Auch Brienne of Tarth (Gwendoline Christie) findet die Literaturwissenschaftlerin spannend. Denn die ungewöhnlich große Lady verkörpert das Idealbild eines Ritters. Sie ist nicht nur eine hervorragende Kämpferin. Sie will auch dienen und beschützen, sie steht zu ihrem Wort und hat hohe moralische Ansprüche. Und damit ist sie so ganz anders als Jaime Lannister, der in seiner goldenen Rüstung mit seinem hübschen Gesicht und seinem großspurigen Gehabe nur rein äußerlich dem perfekten Ritter entspricht. Jamie brach seinen Eid, als er den König, den er beschützen sollte, hinterrücks tötete. Auch dass er Sex mit seiner verbitterten, intriganten Schwester Cersei hat und unliebsame Zeugen einfach aus dem Turmfenster wirft, passt nicht so recht ins Bild des edlen Ritters. Dennoch kommen Brienne und Jamie – dessen Charakter sich zum Besseren verändert – sich sehr nah. Als feministische Galionsfigur taugt die Lady allerdings nicht. Schließlich wäre sie lieber als Mann geboren worden.

Genug feministische Power für zehn andere Frauen bringt allerdings Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) mit sich. Die Mutter der Drachen. Eine Frau, die atemberaubende Wandlungen durchläuft. „Auch sie muss einiges lernen, aber sie lernt schnell“, sagt Colligs. Anfangs fügt Daenerys sich noch ihrem Bruder, der sie im Tausch gegen eine Armee zu einer Heirat mit dem Krieger Khal Drogo zwingt. Die Ehe entpuppt sich jedoch – auch in sexueller Hinsicht – als stimulierend und befreiend. Die neue Herrscherin des Reitervolks der Dothraki emanzipiert sich von ihrem Bruder. Als ihr Mann viel zu früh stirbt, lässt sie sich mit seiner Leiche und drei Dracheneiern verbrennen. Doch entsteigt sie den Flammen völlig unversehrt mit lebendigen Drachenbabys. Da steht ihr Plan fest: Sie will den Eisernen Thron, auf dem einst ihr Vater saß, zurückgewinnen. Mit diesem Ziel erobert sie zahlreiche Städte, indem sie Zigtausende Sklaven befreit. Ihre wichtigsten Vertrauten sind dabei ein ehemaliges Sklavenmädchen, zwei aus Westeros vertriebene ältliche Ritter, ein kämpfender Eunuch  und ein Zwerg. Und ihre kriegerischen Allianzen schmiedet sie ausschließlich mit anderen Frauen, wie Colligs betont.

Nun fiebern die Fans, wie es wohl weitergeht. War diese Powerfrau doch in einer der letzten Szenen mit Jon Snow im Schlafzimmer verschwunden. Nicht ahnend, dass dieser (Achtung: Wer die Serie noch sehen will, sollte hier nicht weiterlesen!) der Sohn von Daenerys älterem Bruder ist ... – und dass er damit in der Thronfolge vor ihr steht.

Eine Verwandtschaftsbeziehung, über die die Leser und Serienfans jahrelang nur spekulieren konnten. Gehört es doch zu Martins Markenzeichen, symbolische Andeutungen auf spätere Entwicklungen geschickt zu platzieren, sodass viele ein Hobby daraus gemacht haben, zu rätseln, wie es weitergehen könnte. Obwohl Britta Colligs (noch) zu den relativ wenigen zählt, die das Werk wissenschaftlich analysieren, kann sie auch nicht abschätzen, wer am Ende den Thron besteigt. Denn eines haben die vergangenen Jahre gelehrt: In „Game of Thrones“ ist fast alles möglich.

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