Universität Ein digitaler Sommer, der nicht enden will

„… für uns interessiert sich halt niemand.“ Wer mag das wohl gesagt haben? In der Pandemie dürfte die Liste der Beschwerdeführer, die sich dieses Satzes bemächtigen möchten, lang sein. Immerhin, der Satz aus dem Mund einer Studentin hat es in die Hauptnachrichtensendung geschafft.

Diese Bilanz wirft in die Waagschale, was nicht nur eine europäische Studie zu den Befindlichkeiten der jungen Generation in Erfahrung brachte, sondern auch eine an der Universität Trier durchgeführte Studie zum Thema „Studieren in der Pandemie“.

Im Schatten von Systemrelevanz und Priorisierungen haben sich die Studierenden Deutschlands mit dem Zwang der Verhältnisse arrangiert. Man stelle sich dennoch für einen Moment vor, dass uns diese Ausnahmesituation zum Beispiel in den 1970er Jahren heimgesucht hätte, als gerade begonnen wurde, das Wort „Informationsgesellschaft“ zu buchstabieren. Wie wäre es uns wohl ergangen? Hätten wir dann Telekolleg und Radio (verbunden mit den Hörschläuchen aus den Anfängen des Radiozeitalters) im großen Stil eingesetzt? Im Jahr 2020 war nicht nur das Digitale Zielschreibe akademischer Kritik, sondern insgesamt eine gelungene Rettung. Ohne diesen „Ausweg“ hätten wir weitgehend kapitulieren müssen.

Im März 2020 fragten wir uns: „Was soll das heißen: eine Universität schließen?“ Die Diskussionen waren bizarr, kein Radar gab Orientierung. Und doch war nach wenigen Wochen das Bild einer völlig anderen Universität gezeichnet worden. In einem Kommentar für eine nationale Digitalisierungsplattform sprach ich damals von einem digitalen Sommer. Aber mir war nicht klar, dass es auch noch einen Herbst und einen Frühling und noch einen Sommer geben würde. Die Hochschulen wurden zu leeren Räumen, alle mussten rasch in das digitale Trainingslager und dann musste es auch mit der Infrastruktur schnell gehen. In den Anfangswochen gab es Staus im Netz, insbesondere am Wochenende. Auf so viele aufgezeichnete Vorlesungen und animierte Präsentationen waren die IT-Zentren dieser Republik zunächst nicht vorbereitet. Damals lautete mein Fazit: „Wir werden erleben, was uns die analoge Lehre bedeutet, aber auch häufiger erkennen, was digital auch gut geht. Diese gegenseitige Wertschätzung wird zunehmen ...“

Im Grundsatz würde ich dem weiterhin zustimmen. Aber aktuell ist es schlicht die Müdigkeit, die sich in diesem so anderen Alltag ausgebreitet hat. Das hat die Trierer Untersuchung auch gezeigt.

Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen, dass das Studium während der Pandemie zwar durchaus unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt wird, in vielen Fällen aber eine hohe Übereinstimmung in der Beurteilung der Gesamtsituation gegeben ist. In der Öffentlichkeit wurde beispielsweise häufig diskutiert, dass es nun bereits viele Studierende gibt, die noch kein Präsenzstudium und Campusleben kennen – und dass hier besondere Unterstützung erforderlich ist. Das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen dieser Erfahrung wirkt sich aber deutlich auf die Beurteilung des allgemeinen Wohlbefindens und der Herausforderungen des Pandemie-Studiums aus. Man sehnt sich nach einem Ende dieser Geduldsprobe.

Es ist mittlerweile häufig wie das Grauen immer wiederkehrender Durchschnittstage. Sollte das kommende Wintersemester ein Hybridsemester (Präsenz- und Digitalunterricht) werden und sollten sich die allgemeinen Regeln nicht ändern, dann wird eine vierte Generation junger Menschen den Campus nur eingeschränkt oder gar nicht als Studienort nutzen können. Die Bibliothek ist als wichtiger Ort zwar seit einiger Zeit wieder geöffnet. Aber das genügt nicht, um das allgemeine Befinden zu verbessern. Das Salz in der Suppe ist die Abwechslung. Die Monotonie der Situation und die räumliche Enge („Ich starre den ganzen Tag auf Kacheln oder eine Wand.“) belasten. Das ist allenthalben spürbar: Für fast zwei Drittel der Studierenden fehlt die Struktur im Alltag. Viele vermissen die Treffen mit ihren Lerngruppen, sie hadern zugleich mit dem Volumen des Lernstoffs, klagen über mangelnde Konzentration. Unter normalen Umständen ist die Zufriedenheit mit dem Studium hoch, aktuell sind nur 41 Prozent  einigermaßen und 14 Prozent sehr zufrieden. Das Ergebnis ist nicht dramatisch, aber anders. Normalerweise äußern ca. acht von zehn Zustimmung. Das Allgemeinbefinden spiegelt die emotionale Gesamtlage. Das Studium läuft ab wie ein Film, aber die positiven Assoziationen, die mit dem studentischen Leben und dem Studium an einer Universität verbunden werden, fehlen in der aktuellen Dramaturgie. Alle sehnen eine andere, weniger standardisierte Form des Studiums herbei. Zugleich haben sie die Vorzüge des einen oder anderen digitalen Formats wertschätzen gelernt.

Immerhin aber gehen 60 Prozent der Studierenden mit hoffnungsvollen Erwartungen in das zweite Halbjahr 2021. Sie wünschen sich Präsenzveranstaltungen (60 Prozent), den Besuch von Mensa oder Cafeteria (70Prozent) oder soziale Aktivitäten (50 Prozent). Inmitten dieser Gemengelage gilt es nun, das kommende Semester mutig, aber behutsam vorzubereiten. Das aktuelle sportliche Schauspiel offenbart uns eine Atmosphäre, die Hochschulstandorte in Deutschland wie stillgelegte Infrastrukturwüsten erscheinen lässt. Aber viele Teile davon liefen im Verborgenen auf Hochtouren. Der Eindruck ist falsch. Nicht im Scheinwerferlicht zu stehen war Teil des Erfolgs.

Hinter der Leere, die auf den ersten Blick dominierte, haben viele digital aufgesattelt. Nicht, um nun wieder abzusatteln, sondern um hier und da mit neuen Ideen in die Gestaltung von Studienfächern zurückzukehren. Das nach wie vor spürbare Zögern ist in den überwiegenden Fällen Ausdruck eines Unbehagens mit den Verhältnissen, die viel zu oft bereits wieder als beherrschbar erscheinen. Unsere Planungen sollen den Campus, den Hörsaal, das Forum usw. wieder mit Leben füllen und erlebbar machen. Hinter allem steht immer ein Plan B, der uns auf mögliche Enttäuschungen vorbereitet. Eine Gesellschaft, die ihre Hochschulen schätzt, sollte auch der jungen Generation eine Hochschulkampagne gönnen, die in den allgemeinen Zuspruch das Impfen einbettet. Das sorgt für Bewegung und weitet den Blick. Videokonferenztaugliche Hemden und Tops wollen auch einmal ausgetragen werden.

Prof. Dr. Michael Jäckel ist Präsident der Universität Trier.

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