Corona-Pandemie Das Fasten, die Bäume und der Himmel

Heute beginnt die Fastenzeit. Aber wie unterscheidet die sich eigentlich in der Coronazeit vom ganz normalen Leben? Ein Gastbeitrag von Uni-Präsident Professor Michael Jäckel.

 Verbot in der Fastenzeit: Zwischen Karneval und Ostern verzichten viele Menschen auf Alkohol – und auch auf ganz andere Dinge.

Verbot in der Fastenzeit: Zwischen Karneval und Ostern verzichten viele Menschen auf Alkohol – und auch auf ganz andere Dinge.

Foto: dpa-tmn/Uwe Zucchi

„Nichts darf man machen. Es ist so langweilig.“ Ein Satz, von einem Kind in eine Kamera gesprochen, versinnbildlicht die Spannung, die mit jedem neuen Tag in vielen Wohnungen und Häusern ausgehalten werden muss. Könnte Zuversicht durch Verzicht eingelöst werden: So manche würden sich kompromissbereit zeigen. Hauptsache, die Zukunft ist anders. Aber gegenwärtig bewahrheitet sich, dass das Warten „die Gegenwart der Zukunft“ ist. So hatte es der Kirchenlehrer Augustinus formuliert. Die Fastenzeit diente nach seiner Lesart, auch der des hl. Benedikt, der Entsagung und der Vorbereitung auf ein Ziel. Da wird an Ostern etwas geschehen. Darauf muss man sich einstellen. Aber was wird bis Ostern passieren? Und was kommt danach? 

Auch heute, außerhalb des gerade beschriebenen Regellebens, verbinden wir den Gedanken des Fastens mit einem Verzicht, der uns etwas abverlangt. Wer gefragt wird, warum es diese Praxis im Leben vieler Menschen gibt, wird insgesamt seltener aus eigener Erfahrung berichten können. Bereits vor Jahren hat die Demoskopie der deutschen Bevölkerung attestiert, dass ihr der Sinn dieser Entsagung abhandengekommen ist. Ethische Konsequenz, Zeit der Ruhe, Reinigung der Seele: entfernte Wertsphären.

Die andere Seite der Medaille ist die Verweltlichung des Fastens. Prüfsteine für das eigene Leben werden heute in vielfältiger Form sozial vermittelt, in diversen Betätigungsfeldern unterstützt und als marktgängige Angebote geschickt umworben. Ein enthaltsames und bewusstes Leben ist dann Teil einer Philosophie der Fitness – mit Ernährungs-, Bewegungs- und spirituellen Komponenten. Aber was soll in der aktuellen Situation ein Fastenappell bewirken, wenn die Alternativen zur Gestaltung des täglichen Lebens ohnehin massiv eingeschränkt sind? Ist nicht auch die Konsumlaune auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, so dass Appelle im Sinne von „ein weniger von diesem“ und „ein weniger von jenem“ allenfalls noch einen verstärkenden Effekt haben könnten?  „Sieben Wochen ohne Blockaden“ lautet das Motto des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik im Corona-Jahr. Wer seit geraumer Zeit Autofasten praktiziert, hat damit ohne Zweifel Stauerfahrungen reduziert. Ebenso erleben viele Arbeitsfelder ein Dienstreisefasten.

Der moderne Mensch hat seine Lebensstile so auf Abwechslung ausgelegt, dass ihm der verordnete Rückzug als Großaufgabe erscheint. Die belohnenden Effekte scheinen zu fehlen. Der wöchentliche Kalender offenbart nun viele Lücken: kein Treffen mit Freunden, kein Kinoabend, kein Restaurantbesuch. Die Zeit dehnt sich, je länger die Einschränkungen anhalten. Auch die Abende werden länger, die Puzzles umfangreicher, das Spielen (klassisch oder smart) gesellt sich dazu. Diese reduzierte Geselligkeit hat etwas von einem Begegnungsfasten. Auf den Tauschbörsen des Internets herrscht derweil Hochbetrieb, Bildschirme werden zu unserem täglichen Gegenüber. Wer online präsent ist, hat gute Karten, wer zuverlässig liefert, noch bessere. Eine Gesellschaft der Auftraggeber und Auftragnehmer, ein Brokerwesen ganz neuer Art nimmt fast schon (beschäftigungs-)therapeutische Züge an.

Es wird gebastelt und gewerkelt und renoviert: neue Betten, neue Tapeten, neue Farben. Zur Home-Philosophie gesellt sich der Gedanke des „Kleinbetriebs“. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten ist für viele vorbei. Alles erfolgt nun unter einem Dach: Homeoffice, Homeschooling, Hometraining. Draußen vor der Tür wartet die Heimat. Ferneverzicht geht einher mit neuen Naherfahrungen, der Spaziergang wird als das erlebt, was in vielen Aphorismen zum Ausdruck kommt: Man kehrt zu sich selbst zurück und bei sich selbst ein. Zugleich hat es etwas von einem Mobilitätsfasten.

 Das Verbraucherverhalten ist bereits gedrosselt und wird von einem Unbehagen begleitet. Es ist eine Art geerdeter Konsum, spürbar auch in einer deutlich gestiegenen Sparneigung. Die verstärkte Nachfrage nach Bio-Produkten erklärt man etwa als einen Kauf von Gesundheit, als Investition in die eigene Widerstandsfähigkeit. Zum Ausnahmezustand gehören zudem Hinweise auf die schützende Kraft von Tanninen, die, auch wenn der wissenschaftliche Nachweis umstritten ist, einem klassischen Feld des Fastens, dem Alkoholverzicht, eine Exit-Option offerieren. Kontrolle ist gut, überzeugende Argumente besser.

 Wer nun also Fastenappelle vernimmt, der fragt sich vielleicht: Warum soll ich diesem Arrangement mit den Verhältnissen noch etwas hinzufügen? Manche wären vielleicht für ein Homeschooling- oder Videokonferenzfasten empfänglich, andere sorgen sich aber vor allem um ihre berufliche Zukunft, leiden also an der fehlenden Perspektive auf ein gestaltbares Leben, was schon genug von Entsagung hat. Zu Beginn des Jahres 2021 spiegelt sich dieses Unbehagen auch in den Ergebnissen der Demoskopie: Die deutsche Gemütslage entspricht einer fast ausgeglichenen Mischung aus Zuversicht, Skepsis und Sorge. Der Drang, die Dinge gestalten zu wollen, nimmt spürbar zu. Die Disziplin wird strapaziert.

 Die Fastenwochen werden nicht anders als die Corona-Wochen davor sein. Die Hoffnung aber, dass jede weitere Enthaltsamkeit für das Ganze befreiend wirken kann, ist auch ohne den kalendarischen „Zufall“ gegeben. Dennoch kann eine solche entleerte Tradition noch einmal daran erinnern, dass die Bäume schon lange nicht mehr nur in den Himmel wachsen. Mit dem traditionellen Fastenende wird es eben nicht vorbei sein. Insofern erscheint auch diese Botschaft in einem anderen Licht.

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