Das Einmalige der Stadt geht verloren

StadtentwicklungZu unserem Bericht "Drahtfabrik kommt weg" (TV vom 30. August) über den geplanten Abriss einer Industriebrache in Gerolstein schreibt dieser Leser: Wenn denn Investoren darüber entscheiden, ob etwas erhaltenswert ist, was einen Ort prägt und ihn lebenswert macht, dann brauchen wir weder eine Verwaltung noch eine gewählte Politik und Gerolstein noch weniger Millionen Euro und lange Debatten für und um einen Stadtumbau. All das ist dann schon entschieden.


Das demokratisch ermächtigte Gerolstein täte gut daran; seinem Souverän mitzuteilen, wer, was in detaillierten Plänen anstelle einer dann in die Ewigkeit verschwundenen Drahtfabrik vorhat zu errichten.
Ein mit großen und schönen Bauten übersätes Gerolstein täte gut daran; zu wissen, ob es stadtprägende Geschichte eintauschen möchte gegen Investorenträume, die, wie im Falle von Calluna und Sarresdorf; nur mehr ein Ärgernis sind. Das eine ist bald eine Ruine, das andere ruiniert die Kernstadt Gerolsteins.
Das Dilemma ist die Zwanghaftigkeit heutigen Bauens und ein stetiger Abbau von Kultur im öffentlichen Raum.
Die auf Gier nach Effizienz und Geiz an Schönheit, Ausdruck und Wärme ausgerichtete Architektur heutiger (Groß-) Bauten kann nicht standhalten mit der Ästhetik alter Bauten.
Andernorts würden diese Bauten gepflegt. Eine Stadt ist der Körper, in dem wir leben, er braucht unsere Fürsorge und Anteilnahme.
Sodann stellt sich die Frage, was möchte eine Gerolsteiner Bürgerschaft, das von ihrer Epoche in die Geschichte eingeht? Der Abriss der historischen Eisenbahn nach Prüm, wohl auch nach Daun, der Abriss der historischen Betriebsstätte Brunnengelände, der Abriss der Hochbrücke, der Abriss des historischen Hotels Kaiserhof, der Abriss von Stadthäusern zur Schaffung von sogenannten Stadtbalkonen, der Abriss der historischen und letzten Industriearchitektur der Gründerzeit, der Drahtwarenfabrik?
Am Ende dieser Ereigniskette ist Gerolstein nur mehr platt und ein austauschbarer Autobahnzubringer - wie Tausende andere auch. Bekanntermaßen kann es auch anders enden, weitergehen, sich entwickeln.
Dazu gibt es Nutzungskonzepte und Finanzierungsmöglichkeiten. Auch wenn Berlin fern ist, die Wahl dennoch so nah: Die regionalen Kandidaten täten gut daran; ihre Sicht von regionaler, zukunftsfähiger Entwicklung, am Fallbeispiel Gerolstein, ihrem Souverän mitzuteilen.

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