Interview Shida Bazyar Zeit zu lesen, Zeit für tröstende Worte

Hermeskeil · Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ findet gerade viel Beachtung: Wir haben die Autorin gefragt, was sie selbst gerne liest, welche Bücher sie empfiehlt und warum so oft ihr Geburtsort Hermeskeil genannt wird.

 Shida Bazyar genießt nach dem Erscheinen ihres zweiten Romans gerade eine Schreibpause. 2016 kam ihr Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ heraus.

Shida Bazyar genießt nach dem Erscheinen ihres zweiten Romans gerade eine Schreibpause. 2016 kam ihr Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ heraus.

Foto: Tabea Treichel

Telefontermin an einem verregneten Tag: Shida Bazyar meldet sich und das Wetter ist sofort draußen, wo es hingehört. Ihre Stimme klingt angenehm. Es soll in unserem Gespräch darum gehen, wie und was die Autorin gerne liest, aber auch ihr neuer Roman „Drei Kameradinnen“ (Kiepenheuer &Witsch, 352 Seiten, 22 Euro) ist Thema. Denn in den Rezensionen in den überregionalen Feuilletons dazu wird auffallend oft ihr Geburtsort Hermeskeil erwähnt, als sei die Hochwald-Gemeinde der Nabel der Welt.

„Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, …“, heißt es auch bei ihrem Verlag. „Das ist tatsächlich auf meinem eigenen Mist gewachsen. Ich wollte gerne, dass der Name Hermeskeil auftaucht, ich fand das sehr schön“, sagt die Hermeskeilerin. Interessant sei, dass es alle mit solcher Selbstverständlichkeit aufgriffen, als sei es ein Ort, den man kennen müsse. Darüber, dass ihre Eltern sich dort in den 1980er Jahren niedergelassen haben, nachdem sie aus dem Iran geflohen waren, sprechen wir nicht.

Regelmäßig kommt sie noch nach Hermeskeil. Viele ihrer Freundinnen und Freunde von früher seien nach dem Studium wieder dorthin zurückgekehrt. „Ich habe also immer noch Gründe, dort hinzufahren, und merke mehr und mehr, dass ich mich auch mit der Geschichte von Hermeskeil beschäftigen möchte“, erzählt Shida Bazyar. Das Buch „Juden im Gaumusterdorf“ von Heinz Ganz-Ohlig, in dem es um die jüdische Bevölkerung vor der Shoa gehe, habe sie sehr beeindruckt, weil es ihren Blick auf ihren Geburtsort geweitet habe. „Mit dem Wissen, dass es kein Ort ist, der von der Geschichte losgelöst funktioniert, spaziere ich ganz anders durch die Stadt und die Wälder und bin dadurch in einen neuen Hermeskeil-Prozess gekommen“, erzählt sie. Dabei wollte Shida Bazyar früher weg von dort, wollte dahin, wo es laut und spannend ist.

Die Autorin gönnt sich jetzt zuerst einmal eine Schreibpause. „Ich kann mich gerade nach dem Erscheinen von ,Drei Kameradinnen‘ auf nichts anderes konzentrieren, muss zuerst ausgiebig darüber sprechen und daraus vorlesen, dann kann ich es abschließen“, sagt sie. Es geht darin um die Freundschaft dreier Frauen und, sehr verkürzt, um Herkunft und Ausgrenzung. Shida Bazyar hat sich in den vergangenen Wochen gefreut, wieder Buchhandlungen betreten zu können und ihr Buch dort liegen zu sehen. Trotz Corona habe sich ein wenig Normalität einstellen können: „Es gab zwar keine großen Lesungen, aber ich war wieder unterwegs und habe digitale Begegnungen schätzen gelernt.“ Aber zurück zum Anlass des Interviews: Wie sind Shida Bazyars Lesegewohnheiten, und was empfiehlt sie den Volksfreund-Lesern?

Welche Genres lesen Sie selbst gerne?

Shida Bazyar: Ich lese sehr viel Gegenwartsliteratur, Romane, manchmal auch Sachbücher, meist zu feministischen und politischen Themen. Aber vor allem lese ich Neuerscheinungen auf Deutsch. Ich bin nicht gut darin, Übersetzungen zu lesen, weil ich immer das Gefühl habe, es steht etwas zwischen mir und dem Text. Alles, was im deutschsprachigen Raum neu erschienen ist und erscheinen wird, ist für mich ganz wichtig. Ich bin ganz wild darauf. Ich würde keinen Lyrikband lesen und bin nicht an Krimis interessiert.

Es gibt Autoren, die sich, während sie schreiben, bewusst nicht mit aktuellen Büchern befassen.

Shida Bazyar: Ich finde das sehr wichtig und brauche das. Lesen ist für mich Teil meiner Arbeitszeit, auch um zu sehen, wie Sachen besprochen werden, und um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Literaturkritik funktioniert. Nicht, um mich von ihr abhängig zu machen, sondern weil ich sie verstehen will. Für mich ist klar, wenn ich schreiben will, muss ich lesen. Das ist wie das Futter, das ich aufnehmen muss, um Energie zu bekommen.

Sie haben gerade die Frage beantwortet, ob Autoren immer selbst lesen müssen?

Shida Bazyar: Ja, auf jeden Fall, aber jeder funktioniert anders. Bei der Jugendarbeit, die ich manchmal mache, ist immer der wichtigste Tipp, wenn es um das Schreiben geht: Wer schreiben will, muss lesen. Auch um herauszufinden, was einem beim Lesen Spaß macht und was man von einem Text erwartet. Man ist ja auch immer seine eigene erste Leserin, man muss wissen, was Literatur mit einem machen kann.

Haben Sie keine Angst, dass Sie ungewollt Ideen übernehmen könnten?

Shida Bazyar: Nein, selbst wenn ich gar nichts lesen würde, bin ich doch immer ein Mensch, der etwas aufsaugt oder hört. Man kann sich nie 100-prozentig sicher sein, dass immer alle Gedanken von einem selbst stammen. Deshalb halte ich den Effekt, den das Lesen selber hat, für wichtiger und würde das in Kauf nehmen. Auch weil ich die Kehrseite kenne. Manchmal habe ich etwas gehört und gedacht, okay, das habe ich ähnlich auch schon geschrieben. Aber ich finde das auch eher schön. Literatur funktioniert für mich auch im Weiterdenken der Ideen anderer.

Lesen Sie regelmäßig Bücher befreundeter Autoren?

Shida Bazyar: Ja, sehr gerne. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Hildesheim literarisches Schreiben studiert habe. Wir waren ständig im Austausch über unsere Texte. Es erscheinen viele Bücher von Menschen, die ich aus dieser Zeit kenne oder mit denen ich befreundet bin. Mich interessiert es einfach, wie sie sich entwickelt haben und woran sie arbeiten. Ich genieße diese Kollegialität sehr, weil wir alle sehr verbunden sind und Literatur mögen.

Papier oder E-Book?

Shida Bazyar: Beides. Wobei, … wahrscheinlich gewinnt das haptische, gedruckte Buch. Aber im Alltag hat auch das elektrische Buch seinen Platz.

Haben sich Ihre Lesegewohnheiten während der Pandemie verändert? Fliehen Sie in Fiktion?

Shida Bazyar: Ich habe sehr, sehr viel gelesen, seit die Pandemie angefangen hat. Ich weiß nicht, ob es eine Zuflucht ist, aber die Schönheit von Sprache, von Ideen, von Figurenzeichnung hat mich einfach über die Zeit getröstet. Ich weiß nicht, wie ich es ohne durchgestanden hätte. Lesen war ein Zufluchtsort.

Gibt es Lieblingsautoren, die Sie schon lange begleiten?

Shida Bazyar: Mir fällt als Erstes Klaus Kordon ein. Die Verbindung von Historie und anspruchsvollem Jugendbuch hat mich schon früh begeistert. Christine Nöstlinger war für mich wegen der Ernsthaftigkeit, die sie vor allem auch Randgruppen entgegenbrachte, ebenfalls sehr früh schon wichtig. Zu beiden Autoren würde ich vermutlich auch als Achtzigjährige noch greifen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort