"Der Leichengeruch ist immer noch überall"

BESCHEID. "So etwas Schlimmes habe ich noch nie gesehen." Engelbert Nisius aus Bescheid war vier Wochen lang als THW-Helfer im Flutkatastrophengebiet in Südasien. Im TV erzählt der 50-Jährige von seinen Erlebnissen.

"In unserem Viertel war in jeder Familie ein Sterbefall nach der Flutkatastrophe." Wenn Engelbert Nisius von "unserem Viertel" spricht, meint er den Teil von Banda Aceh, in dem er in den vergangen vier Wochen gelebt hat. "Wir haben dort in einem Camp aus Zelten geschlafen. In ein Haus wäre ich nicht gegangen. Dafür gab es noch zu viele Erdbeben", erzählt Nisius. Fast täglich habe die Erde in Sumatra gebebt.Zerstörung auf zehn Kilometern

Schlimmer als die Erdbeben war für Nisius allerdings das Ausmaß der Katastrophe. Zwar hat der Bescheider schon häufig als THW-Helfer in Katastrophengebieten geholfen, war unter anderem bei der Elbe-Flut oder vor fünf Jahren in Frankreich nach dem schweren Orkan. "Aber so etwas habe ich noch nie gesehen: Bis zu zehn Kilometer vom Strand entfernt ist alles zerstört. Alles ist wie ausradiert", sagt er. Von den Häusern, die einmal dort gestanden haben, sei fast nichts mehr vorhanden. "Obwohl die Häuser wegen der vielen Erdbeben stabil gebaut sind, ist nur noch die Bodenplatte vorhanden. Selbst ein Betonwerk ist völlig zerstört. Meterdicke Betonträger sind dort total verbogen", sagt Nisius. Das schlimmste Erlebnis sei für ihn die Bergung von vier Leichen gewesen. "Als wir auf dem Nachhause-Weg waren, haben wir zufällig einen Brand neben einem Flüchtlingslager entdeckt. Wir sind sofort hin und haben gelöscht. Dabei kamen unter den Trümmern vier Leichen zum Vorschein, die wir praktisch mit dem Löschwasser frei gespült haben", erzählt Nisius, der während seines Einsatzes in Banda Aceh 50 Jahre alt wurde. Noch täglich werden in Banda Aceh Leichen gefunden und abtransportiert. "Bagger suchen unter den Trümmern nach Leichen. Wenn sie welche geborgen haben, bringen sie die Leichen an den Straßenrand. Von dort werden sie, in Säcke gepackt, abends von einem Lastwagen abgeholt und zu den Massengräbern gebracht", erzählt Nisius. "Die Bagger finden täglich immer noch tausend Tote. Der Geruch der Leichen ist überall, im Mund, auf den Händen, den Armen, einfach überall. Ich hätte nicht gedacht, dass das immer noch so schlimm ist." Der Zugführer des THW-Ortsverbands Hermeskeil war mit anderen THW-Helfern aus ganz Deutschland vier Wochen lang am nördlichsten Zipfel von Sumatra. Der Elektroniker reparierte unter anderem die Elektrik eines Krankenhauses und bereitete Trinkwasser auf.Jeder Zweite tot oder vermisst

An den Moment, als er Banda Aceh zum ersten Mal aus dem Flugzeug sah, kann sich Nisius noch genau erinnern: "Gedanken hat man in dem Moment keine. Man kann alles erst verstehen, wenn man vor Ort ist." In Banda Aceh lebten vor der Flut mehr als 460 000 Menschen. Nun wurden schon 120 000 Tote gefunden, 130 000 Menschen werden noch immer vermisst. "Als wir ankamen, hat 50 Zentimeter hoch der Schlamm im Krankenhaus-Gebäude gestanden, alles war nur noch ein Trümmerfeld. Direkt nach der Flut hat das Wasser eineinhalb Meter hoch in dem einstöckigen Gebäude gestanden, einfach alles stand unter Wasser", erzählt Nisius. Jetzt funktioniere dort wieder alles. "Zusammen mit der Bundeswehr haben wir aufgeräumt und wieder alles funktionstüchtig gemacht", sagt der THW-Helfer weiter. "Jetzt noch anstehende Arbeiten machen die Einheimischen." Von der Bundeswehr haben Nisius und die anderen Helfer nötige Ersatzteile und einen Teil der Lebensmittel bekommen. "Fleisch oder Fisch vom Markt konnten wir nicht essen. Überall waren Mücken und Ungeziefer", sagt Nisius. Mittlerweile, knapp zwei Monate nach dem Tsunami, haben sich die Menschen in Banda Aceh mit der Katastrophe abgefunden. "Den Menschen dort merkt man nicht mehr viel an, das ist eine andere Mentalität. In der Stadt funktioniert mittlerweile der Verkehr wieder gut. Die Randgebiete sind allerdings nur mit einem Hubschrauber erreichbar." Trotz der teilweise erschütternden Erlebnisse würde Engelbert Nisius wieder als THW-Helfer in Banda Aceh helfen. "Das ist gar kein Thema, ich würde nochmal gehen."

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