Einblick in eine grausame Welt

HINZERT. Es weht ein eisiger Wind, und die Gedenkstätte an der Stelle des ehemaligen SS-Sonderlagers/KZ Hinzert ist mit Schnee bedeckt. 50 Menschen sind gekommen, um der Opfer zu gedenken und an Führungen teilzunehmen.

30. Januar 2005. Es ist frostig in Hinzert. Trotz Mützen und dicker Schals dringt die eisige Kälte durch. "Bei solchen Minusgraden wurden viele der Häftlinge mit kaltem Wasser abgespritzt", sagt Wolfgang Alt vom Förderverein Hinzert. Vor genau 72 Jahren wurde Hitler von Hindenburg zum Kanzler ernannt. Vor fast genau 60 Jahren wurde das Konzentrationslagers Auschwitz befreit. 50 Menschen sind zum Gedenken an die Opfer zum ehemaligen SS-Sonderlager/KZ Hinzert gekommen. Auch Besucher Mathias Denzer hat an diesem Sonntagnachmittag den beschwerlichen Weg nach Hinzert zurückgelegt. Bevor er an einer der beiden Führungen teilnimmt, geht er mit seiner Frau zum Gedenkstein. Eine unberührte weiße Schneedecke verbirgt die Namen der Opfer. Mathias Denzer schiebt den Schnee mit der Hand beiseite. Mit jeder Bewegung werden mehr Namen sichtbar: Stefan Joblanksi, Jules Broin, Fritz Kolling…Auf ein billiges Bier in die KZ-Kneipe

Jeder Name steht für ein unmenschliches Schicksal und kaum zu fassende Menschenverachtung. Die Denzers schweigen. Sie gehen wie viele andere zur Gedenktafel und hören die Worte von Wolfgang Alt: "Man geht davon aus, dass bis zu 15 000 Menschen hier inhaftiert waren." Und er berichtet: "Die Häftlinge mussten die banalsten Arbeiten im Laufschritt verrichten. Das war eine Terrormaßnahme. Ihnen wurde vermittelt, dass sie sich nicht mehr normal bewegen können. Ihnen sollte bewusst werden, dass sie der Willkür der KZ-Wachleute ausgesetzt waren." Alt erzählt von aus ihren Familien herausgerissenen Männern, die innerhalb eines Jahres auf 35 Kilo abgemagert waren und von dem abgelegenen, aber integrierten Dorf Hinzert. "Durch den Stacheldraht konnte man alles sehen", sagt Alt. "Einige Bewohner der umliegenden Dörfer sind in das KZ-Casino, eine Kneipe, gegangen, weil es dort billiges Bier und Schnaps gab", sagt Alt. Mit versteinerten Mienen geht die Gruppe zur Gedenktafel. Der letzte Schnee wird entfernt. Alle Namen sind sichtbar. Bevor die Gruppe zur Gedenkfeier in die Sühnekapelle geht, tritt ein älterer Mann aus der Gruppe heraus. Mit traurigem Blick legt er gelbe Blumen auf den Gedenkstein. Er verneigt sich. Schweigen. Nur das Knirschen im Schnee unterbricht die Stille.Wo Worte versagen, hilft die Musik

 Gedenken: Besucher Mathias Denzer befreit den Katafalk von der Schneedecke. Die Namen von Menschen, die im SS-Sonderlager/ KZ Hinzert umgekommen sind werden sichtbar. Foto: Katja Krämer

Gedenken: Besucher Mathias Denzer befreit den Katafalk von der Schneedecke. Die Namen von Menschen, die im SS-Sonderlager/ KZ Hinzert umgekommen sind werden sichtbar. Foto: Katja Krämer

In der Sühnekapelle macht Dieter Burgard, Vorsitzender des Fördervereins Hinzert, auf die Bedeutung der Gedenkstätte aufmerksam: "Von immer mehr Menschen wird das ehemalige SS-Sonderlager/KZ Hinzert als Ort der politischen Bildung wahrgenommen." Jedes Engagement sei ein Zeichen der Hoffnung, zitiert Burgard Ministerpräsident Kurt Beck. Es dürfe keinen Schlussstrich geben; Gedenkarbeit heiße, Demokratie zu schützen und Gefahren vorzubeugen. Studentin Melanie liest bewegende Gedichte, Burgard drückt den Knopf eines CD-Spielers: Musik durchflutet die Kapelle. Musik, die unter die Haut geht, hilft, das auszudrücken, was nicht mehr in Worte gefasst werden kann.

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