Gedenkarbeit in Zeiten neuer Wachsamkeit

Hinzert-Pölert · Im Winter 2005 ist das Dokumentations- und Begegnungshaus der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert eröffnet worden. Etwa 90 Gäste, auch aus Frankreich, Luxemburg, Polen und der Ukraine, feierten das auf Einladung der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB).

Hinzert-Pölert. Vorträge, Diskussionen, Resümee und Ausblick haben die Feier des zehnjährigen Bestehens des Dokumentations- und Begegnungshauses der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert geprägt. Angesichts aktueller Entwicklungen wie dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien stand dabei aber weniger der Jahrestag im Vordergrund. LpB-Direktor Wolfgang Faller nannte zwar "hohe und steigende Zahlen", über die er selbst staune.

Das vor zehn Jahren eröffnete Dokumentations- und Begegnungshaus besuchten bisher mehr als 100 000 Menschen, davon 11 500 im Jahr 2015. Sehr interessiert seien Schüler sowie die inzwischen dritte Generation von Angehörigen ehemaliger Häftlinge. 321 von ihnen kamen nachweislich im KZ Hinzert um, von wo viele in Vernichtungslager deportiert worden waren. Im Mittelpunkt der Feier stand aber vor allem Gedenkarbeit an sich.100 000 Besucher seit 2005

Hat sie in ihrer bisherigen Form versagt? Gelingt es noch, die richtige Ansprache zu finden? Referent Wolfgang Benz, Vorsitzender des Fachbeirats Gedenkarbeit in Rheinland-Pfalz (RLP), "verortete" dafür die Gedenkstätte Hinzert. In der Großregion komme ihr grenzüberschreitend "eine zentrale Bedeutung für die gemeinsame Erinnerungskultur" zu. Das ursprüngliche Lager für straffällige Westwallarbeiter sei definitiv kein KZ "zweiter Bedeutung" gewesen, wovon auch seine 29 Außenlager zeugten.

Referent Burkhard Jellonek sieht Gedenkarbeit und "historisch politische Bildung" vor allem mit Blick auf deren Anfänge vor wachsenden Herausforderungen. Sie sei ja überhaupt erst möglich gewesen ab den 1980er Jahren, nachdem "die Täter, die noch in Amt und Würden waren, ausgeschieden waren". Viele hätten beim Aufbau der Bundesrepublik geholfen, ohne je zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
Auch deshalb brauchte es laut Uwe Bader, Leiter des LpB-Gedenkstättenreferats, 60 Jahre bis zum Bau des Dokumentationshauses. Bis dahin hätten ehemalige Hinzert-Inhaftierte beim jährlichen Gedenken oft im Regen stehen müssen. Einige von ihnen engagierten sich sehr für das Haus. So etwa auch durch den Austausch mit Schülern, was deutsche und luxemburgische Jugendliche dauerhaft verbindet. Leiterin Beate Welter nannte die Namen einiger der inzwischen alle verstorbenen Hinzert-Zeitzeugen. Prägend für das Haus waren zudem Veranstaltungen wie deutsch-luxemburgische Parlamentssitzungen, Fachtagungen oder herausragende Redner. So appellierte 2015 der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel, Europa müsse sich angesichts Hunderttausender Flüchtlinge seiner besonderen Verantwortung stellen und für Menschlichkeit eintreten.
Teilnehmer der Gesprächsrunden sahen weniger eine Ermüdung des Interesses an Gedenkstätten. Es gelte aber, die Wege, um Menschen zu erreichen, immer wieder zu überdenken, so die vorherrschende Meinung. Paul Dostert, Leiter des Dokumentations- und Forschungszentrums zum Widerstand in Luxemburg, nannte Beispiele aus eigener Erfahrung. Mitunter brauche es nur einen Bezugspunkt, sich angesprochen zu fühlen.
Dieter Burgard, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte KZ Hinzert, sieht das ähnlich. So könne es etwa gerade für junge Leute sehr aufschlussreich sein, Luxemburg einmal nicht nur als Bankenplatz zu sehen. Für die Hermeskeiler Gymnasiasten sei Gedenkarbeit ein "alternativloses" Fach, so Rektor Arno Ranft. Der frühere Lehrer Volker Schneider brachte sie in Hinzert ganz entscheidend voran. Auch in der Uni Trier sind es junge Leute, Studierende, die wie berichtet im Rahmen eines von Thomas Grotum geleiteten Forschungsprojektes Fakten aufarbeiten. Über bisherige Erkenntnisse berichtet Katharina Klasen in "Allgegenwärtig? Die Geheime Staatspolizei und das SS-Sonderlager/KZ Hinzert", erhältlich in der Gedenkstätte.Extra

Einer der Besucher, François Amoudruz (90), der drei Konzentrationslager, darunter Buchenwald, überlebte, bezeichnete Gedenkarbeit als "extrem wichtig". Angesichts eines wieder erstarkenden Extremismus sei das nicht nur für frühere Deportierte oder deren Angehörige von sehr großer Bedeutung, sagte er im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund. Vor allem für Menschen der jüngeren Generation sei es bedeutsam zu wissen: "Was passiert heute? Wir müssen sehr gut aufpassen - es ist gefährlich! Die jungen Leute müssen das wissen und sie müssen wachsam sein. Eine unserer wichtigsten Missionen ist es daher, in Schulen zu gehen und nicht müde zu werden, über diese Zeit zu sprechen." François Amoudruz wurde als 17-Jähriger Jurastudent deportiert und war insgesamt 18 Monate interniert. Er engagiert sich seit Jahrzehnten in der Gedenkarbeit - grenzüberschreitend - und ist Vizepräsident der landesweit aktiven französischen Stiftung für das Gedenken. Marcel Petit, ein ehemaliger Hinzert-Häftling, setzte sich bis zu seinem Tod ebenso engagiert für Gedenkarbeit ein. Statt Seiner besuchte nun seine Lebensgefährtin Geneviève Guilbaud (81), deren erster Mann im KZ Buchenwald interniert war, die Gedenkstätte. Hinzert sei für sie ein wichtiger Ort, mit dem sie viele Erinnerungen verbinde: "Es bedeutet mir sehr viel, hier zu sein." Mehrmals besuchte sie auch Hermeskeiler Schüler, "um Zeugnis abzulegen über diese Zeit". urs

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