Pflücken ja, zahlen nein

MORBACH/RAPPERATH. Strahlende Sonnenblumen schmücken im Herbst stets eine der Einfallstraßen nach Morbach. Dort konnte man bislang Blumen selbst pflücken. Damit ist es allerdings möglicherweise bald vorbei. Denn der Landwirt Jörg Ritgen muss feststellen, dass die Zahlungsmoral immer schlechter wird.

Wer kennt die Situation nicht? Man ist zu einer Geburtstagsparty eingeladen und hat vergessen, ein Präsent zu besorgen. In Morbach war das bislang kein Problem. Denn bei Ritgens ist sozusagen rund um die Uhr geöffnet. Auf einem Feld an der Saarstraße kann man je nach Jahreszeit Tulpen, Narzissen, Sonnenblumen oder Gladiolen pflücken. Das Geld - 50 Cent pro Pflanze - wirft man in einen dafür vorgesehenen Kassenbehälter. Vor sieben Jahren hatte Ritgen die Idee von einem Bekannten. Der innovative Jungunternehmer sah die Chancen, die mit einem solchen Projekt verbunden waren. Zum einen handelte es sich um eine, wenn auch bescheidene, zusätzliche Einkommensquelle, zum anderen setzte er auf einen mit der Aktion verbundenen Imagegewinn. Und der Landwirt suchte sich eine Fläche aus, die mit großen Mähdreschern ohnehin kaum zu "beackern" war. Zu Beginn sei die Begeisterung bei der Bevölkerung groß gewesen. Auch finanziell habe es sich in den ersten Jahren durchaus ausgezahlt. In den letzten beiden Jahren hatte er deshalb auch sein Sortiment erweitert. Die Kunden konnten dann bei ihm auch Tulpen und Narzissen erstehen. Manches Paar nutzte vor allem die Sonnenblumen beispielsweise als Tischdekoration für seine Hochzeit. Doch parallel dazu musste Ritgen feststellen, dass trotz großer Nachfrage der Betrag in der Kasse stets geringer wurde. Immer häufiger verstanden Kunden laut Ritgen die Aufforderung zur Selbstbedienung bewusst falsch, bezahlten gar nicht oder warfen ein paar Cent durch den Kassenschlitz, wenn sie eigentlich hätten ein paar Euro berappen müssen. Die Zahlungsmoral ließ langsam, aber stetig nach. Unterm Strich rechnet sich die Aktion für den Landwirt nicht mehr. Ritgen: Idee wird nicht mehr honoriert

Nach den Gründen für ein solches Verhalten sucht Ritgen vergeblich. "Ich kann es mir nicht erklären", schüttelt er den Kopf. Ertappe er mal jemanden auf frischer Tat, stelle der sich dumm und frage, wo denn die Kasse sei, obwohl diese nun wirklich kaum zu übersehen ist. Ritgen ist nicht der Einzige, der unter dem Schwund in der Kasse leidet. Er weiß auch von Kollegen, die unter dem selben Phänomen leiden. Offenbar habe sich die Moral in der Gesellschaft geändert. Tatsache ist für ihn: "Die Idee wird nicht mehr honoriert." Er sieht sich gezwungen, Konsequenzen zu ziehen. Und weil er keine Lust hat, noch Kontrollpersonal zum Bewachen der Sonnenblumen abzustellen, wird er mit dem Angebot zum selbst Pflücken entweder ganz aufhören oder das Feld zumindest massiv verkleinern. Dass unter einer solchen Entscheidung die Falschen leiden, ist ihm wohl bewusst: "Die Ehrlichen sind immer die Dummen."

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