Hintergrund Wenn das gemalte Kinderbild voller Drogen steckt

Trier · Gefangene sind erfinderisch. Das ist eine Binsenweisheit. Erfinderisch sind aber auch diejenigen, die Häftlinge von Außen mit Drogen versorgen wollen. Da ist selbst das vermeintlich von der kleinen Tochter gemalte Bild mitunter ein willkommener Drogentransporter. Wie geschickt die Schmuggler vorgehen.

 Dieses im Wittlicher Gefängnis sichergestellte Kinderbild wurde mit unsichtbaren synthetischen Drogen beträufelt.

Dieses im Wittlicher Gefängnis sichergestellte Kinderbild wurde mit unsichtbaren synthetischen Drogen beträufelt.

Foto: TV/Rolf Seydewitz

Das gemalte Bild, das der in Wittlich einsitzende Häftling von seiner Tochter geschickt bekam, sieht aus wie Tausende andere Kinderbilder auch, die Eltern irgendwo in Deutschland tagtäglich von ihren Sprösslingen geschenkt bekommen: Auf einem grünen Hügel steht ein ebenso grüner Baum, während am linken oberen Bildrand die gelbe Sonne lacht und orangefarbene Strahlen in Richtung Erde schickt. Welchem Elternteil wird es angesichts eines solchen Kinderbildes nicht ganz warm ums Herz?!

Zu dumm nur, dass der Wittlicher Häftling das vor einigen Monaten abgeschickte Gute-Laune-Bild seiner Tochter gar nicht bekommen hat. Es wurde abgefangen, weil ein Drogenscanner zuvor Alarm geschlagen hatte. Das Gerät ist eine Wittlicher Besonderheit. Zwar wird der weinkartongroße blaue Kasten inzwischen auch in anderen Bundesländern eingesetzt. Doch die Wittlicher Justizvollzugsanstalt war bundesweiter Vorreiter.

Wie Hightech die immer neue Droge trotzdem entdeckt

 Rauschgiftexperte Kilian Letzas bereitet im Wittlicher Gefängnis ein Stück Papier für den Drogenscanner vor.

Rauschgiftexperte Kilian Letzas bereitet im Wittlicher Gefängnis ein Stück Papier für den Drogenscanner vor.

Foto: TV/Rolf Seydewitz

Das Besondere an dem Scanner: Das Gerät ist ein Meister beim Aufspüren der sogenannten Neuen Psychoaktiven Stoffe (NPS). Die unsichtbaren synthetischen Drogen ersetzen in Wittlich (und wahrscheinlich auch allen anderen deutschen Gefängnissen) immer häufiger die klassischen Drogen Haschisch, Kokain oder Ecstasy. Ihr Vorteil: Die NPS sind online einfach zu erwerben, leicht zu schmuggeln und mit herkömmlichen Drogenschnelltests nicht nachweisbar.

Der Wittlicher Drogenscanner findet sie dennoch. Das Prozedere ist relativ simpel: Ein weißer Teststreifen wird über die möglicherweise mit NPS beträufelten Blätter oder Briefe gezogen und anschließend im Drogenscanner analysiert. Innerhalb kurzer Zeit steht – wie im  Fall des gemalten Kinderbildes – das Ergebnis fest.

Der Vorteil des Geräts ist seine „Lernfähigkeit“. Da sich die NPS-Zusammensetzungen ständig ändern, wird der Wittlicher Drogenscanner durch das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt per E-Mail regelmäßig mit neuen Messdaten versorgt und damit up to date gehalten. Das ist auch notwendig. Denn die Hersteller der synthetischen Drogen verändern ständig die Inhaltsstoffe und Rezepturen, um einer Verfolgung durch die Drogenfahnder zu entgehen.

Was sind die Neuen Psychoaktiven Stoffe?

Bei den NPS handelt es sich um ein Gemisch aus unterschiedlichen legalen Chemikalien, Kräutern und sonstigen Wirkstoffen – daher auch die Bezeichnung „legal highs“ (legaler Rausch). Erst in ihrer Kombination werden sie dann zu einer strafrechtlich relevanten Substanz.

Im Vergleich zu den klassischen Drogen sind die Zutaten nicht nur einfach übers Internet zu bestellen, sie sind auch außerordentlich preiswert. Nach Berechnungen des Wittlicher JVA-Leiters Jörn Patzak, der auch ein ausgewiesener Drogenexperte ist, liegen die Kosten für eine Konsumeinheit NPS bei gerade einmal einem Cent. Eine Konsumeinheit passt auf das Karo eines Rechenblatts. Dieses winzige Stück Papier wird von dem Konsumenten dann in seinen Tabak gerollt und mit der Zigarette geraucht.

Darum sind die NPS bei Haftlingen so beliebt

Wie groß Kosten, Nutzen und letztlich Ertrag bei der NPS-Herstellung und dem Verkauf sind, zeigt auch eine andere Rechnung, die Patzak aufmacht. Auf der DIN-A4-Seite eines Rechenblatts sind 625 Karos, macht 625 Konsumeinheiten. Der Verkaufspreis liegt bei 50 Cent pro Einheit, bei Abnahme größerer Mengen sinkt der Preis auf etwa die Hälfte. Aber auch dann liegt der Verkaufspreis pro Rechenseite noch bei 150 bis 200 Euro. Gemessen am „Wareneinsatz“ von rund sechs Euro eine satte Rendite.

JVA-Leiter Patzak berichtet von einem Fall, bei dem die Wittlicher Justizbeamten einen Brief mit 20 Blatt Papier sichergestellt hätten. „Alle 20 Blatt waren mit einer NPS-Flüssigkeit in hoher Konzentration besprüht“, sagt Patzak. Macht summa summarum  mehrere Tausend Euro, die dem einsitzenden Empfänger an Verkaufserlös durch die Lappen gegangen sind.

Aber natürlich fällt längst nicht jedes NPS-getränkte Blatt Papier auch auf. Schon allein deshalb nicht, weil allein in Wittlich täglich über 300 Briefe an Häftlinge eintrudeln und die Kontrollmöglichkeiten beschränkt sind.

Wie die neuen Drogen für Häftlinge zum Problem werden

Bei manchen Gefangenen fällt erst auf, dass sie synthetische Drogen genommen haben, wenn sie starke Ausfallerscheinungen zeigen oder in ihrer Zelle zusammengebrochen sind. Bei der anschließenden Urinanalyse kann dann festgestellt werden, welche Substanzen der Häftling zuvor genommen hat.

Weil selbst einigen Häftlingen die Wirkungsweise der „Papierdroge“ nicht ganz geheuer ist, werden neuen Lieferungen inzwischen gerne mal getestet. „Dann werden andere Gefangene schon mal als Versuchskaninchen missbraucht, indem man ihnen eine Zigarette mit NPS schenkt und schaut, wie sie nach dem Rauchen reagieren“, sagt der Wittlicher Anstaltsleiter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort