Mangel an Barrierefreiheit Vorsicht Laterne! Für Blinde gibt es viele Hindernisse in der Stadt

Konz · volksfreund.de ist mit einem Sehbehinderten durch die Konzer City gegangen. Er prangert viele Hürden an. Die Stadt arbeite daran, versichert die Verwaltung.

Ein böses Hindernis: Gegen diese Laterne in der Nähe seiner Wohnung läuft Wolfgang Jakobs regelmäßig.

Ein böses Hindernis: Gegen diese Laterne in der Nähe seiner Wohnung läuft Wolfgang Jakobs regelmäßig.

Foto: TV/Christian Kremer

„Au – schon wieder!“ Wolfgang Jacobs ist mit seiner Schulter gegen eine Laterne gelaufen, die auf dem Bürgersteig in der Nähe seiner Wohnung in der Schillerstraße in Konz steht. Der Grund: Er führt seinen Blindenstock am Bordstein in der Fahrbahnrinne entlang. Die Leuchte steht in seinem Laufweg. Sie wird zum Hindernis, weil Jacobs nichts sehen kann. Gegen diese Laterne laufe er häufig, sagt der Blinde.

Leben mit Krankheit Der Konzer ist seit 2004 „stockblind“, wie er es ausdrückt. Er wurde zwar vor 73 Jahren sehend geboren, den grünen Star, eine schwere Augenkrankheit, die zur vollkommenen Erblindung führt, hatte er aber von Anfang an. Trotz seiner Sehbehinderung genießt Jacobs sein Leben. Er hat in Großstädten wie Stuttgart oder München gewohnt. Als seine Augenkrankheit Mitte der 1980er Jahre schlimmer geworden sei, habe er den Verkehr nicht mehr ausgehalten. Deshalb kommt er zurück in seine Heimat, wo er in der Wiltinger Straße eine Zeit lang einen Laden führt. Nachdem seine Frau gestorben ist, findet er in Trier-Quint eine neue Partnerin. Doch auch die stirbt 2017. Weil er sich in dem Ort nicht richtig auskennt, kehrt er wieder zurück nach Konz zu seiner Familie. „Ich dachte, dass ich mich hier frei bewegen kann, weil ich von früher alles kenne, aber das funktioniert nicht“, sagt Jacobs im Gespräch mit dem TV. Um das zu untermauern, geht er mit dem Reporter eine Runde durch die Konzer Innenstadt.


Die Teststrecke
Der Rundweg führt über die Schillerstraße zum Rewe-Markt, dann über die Güterstraße zum Bahnhof Konz, durch die Unterführung über die Bahnhof- in die Brückstraße am Rathaus vorbei in die Schillerstraße zur Granastraße und zurück zu Jacobs Wohnung. Das ist in etwa der Bereich, in dem er sich alleine mehr oder weniger bewegen kann.

Schwerer Start Jacobs tastet sich von seiner Wohnung aus mit dem Blindenstock voran. Während er Richtung Rewekreisel geht, erklärt er, wie er sich orientiert: „Wenn ich beispielsweise zum Müllcontainer gehe, muss ich 43 Schritte zählen. Dann muss ich links abbiegen.“ Den Stock führt er am Bordstein in der Fahrbahnrinne entlang. Hinter der Schillerbrücke sagt er: „Jetzt kommt gleich eine Linkskurve. Und dann kommt das Problem.“ Um die Straßenüberquerung Richtung Rewe-Markt zu erwischen, muss er 37 Schritte zählen. Durch das Gespräch mit seinem Begleiter, dem TV-Reporter, ist er jedoch abgelenkt: „Ich wäre jetzt an der Querung vorbeimaschiert“, sagt der 73-Jährige, als er die Straße überquert.

Die Autofahrer reagieren aufmerksam, halten an und lassen den Blinden vor. Auf der anderen Seite orientiert er sich an einem Grünstreifen, den er wieder verliert. Erst im zweiten Anlauf und mit Unterstützung seines Begleiters schafft Jacobs es zur Querung über die Wiltinger Straße. „Das ist das, was einen so müde macht, diese ständige hohe Konzentration“, kommentiert er die Situation.

Lob für den Bahnhof In der Güterstraße wird es einfacher. Dort kann sich der 73-Jährige am neuen Geländer orientieren. Auch der neue Bahnhof  hat mehrere Leitfelder für Sehbehinderte. Jacobs kommt mit seinem Stab gut voran. Den Bahnhof selbst lobt der Blinde: „Das haben die gut hingekriegt.“ In Trier am Bahnhof sei er wegen fehlender Markierungen schon einmal auf die Gleise gestürzt, beklagt er. Auf dem Bahnsteig gebe es allerdings auch in Konz ein Problem: „Wo ist die Zugtür? Es ist mir schon passiert, dass ich sie verzweifelt gesucht und den Zug verpasst habe.“ Das könne aber an jedem Bahnhof passieren.

Blind durch Konz - ein Rundgang der Hindernisse in der Innenstadt aufzeigt
Foto: TV/Christian Kremer

Der Aufprall Der Weg führt durch die Unterführung über die Bahnhofstraße, wo die Tastfelder zum Überqueren der Straße nicht direkt vor dem Tunnel, sondern ein paar Meter weiter Richtung Bahnhofsgebäude sind. Dann geht’s in die Brückenstraße. Dort fehlt jede Markierung. Autos parken am Straßenrand im Weg. Jacobs kann sich deshalb nicht an den Hauswänden entlangtasten. An einer Stelle läuft er mit der Schulter gegen einen Baum am Rand der Straße. Mit dem Stock hat er ihn nicht erwischt.

Der 73-Jährige sieht erschrocken aus, ist aber nicht verletzt. Treppen zu Haustüren sind Hürden für ihn, fehlende Bordsteine sind für ihn nicht gleichgesetzt mit Barrierefreiheit wie für Rollstuhlfahrer, sondern mit mangelhaften Tastmöglichkeiten.


Ende der Freiheit
Am Verwaltungsgebäude II vorbei geht es zurück zur Schillerstraße. Auch an der dortigen Fahrbahnüberquerung hinter der Sparkasse moniert der Konzer fehlende Markierungen. Während einige der monierten Hindernisse nur mit einem gewissen Aufwand zu entfernen sind, ist ein Problem mit der Fußgängerampel in der Granastraße aus Jacobs Sicht ein absolut unnötiges Übel.

 Hier endet Wolfgang Jakobs Bewegungsfreiheit: Die Ampel in der Granastraße ist nicht barrierefrei.

Hier endet Wolfgang Jakobs Bewegungsfreiheit: Die Ampel in der Granastraße ist nicht barrierefrei.

Foto: TV/Christian Kremer

Dort fehlt der Vibrationsalarm oder ein Ton, der ihn darauf hinweist, dass er weitergehen kann. Jacobs folgert: „Meine Freiheit wird hier eingeschränkt, mein Bereich endet hier. Ich werde einen Teufel tun und hier rübergehen.“

Fazit Jacobs, der sich auch beim Blinden-Selbsthilfeverein Pro Retina engagiert, versteht nicht, warum die Stadt Konz die Situation nicht verbessert. Eigentlich gebe es ja die Technik – vom Vibrationsknopf für Fußgängerampeln bis zur sprechenden Bushaltestelle, wie es sie in anderen Städten gebe. „Das ist alles eine Frage der Kosten“, sagt Jacobs. Er hoffe darauf, dass der neue Stadtrat schnell die richtigen Schritte einleite. Davon profitierten schließlich nicht „nur“ Blinde, sondern auch Senioren mit Sehschwäche.

Aus Jacobs Sicht muss noch in dieser Legislaturperiode etwas passieren. Er sei ja schon 73 Jahre alt und werde nicht jünger. Mit Blick auf sein Engagement ist er aber auch bisschen frustriert: „Ich bin seit fast einem Jahr an der Sache dran, passiert ist noch nichts.“ Den Satz „Das Thema ist in den städtischen Gremien“ könne er nicht mehr hören. Trotzdem muss er sich noch gedulden. Laut Verwaltung geht es aber voran (siehe Info).  

Ein Video zum Thema gibt es unter volksfreund.de/video

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