Briefe aus der Todeszelle

SCHWEICH. Ein 35-jähriger Mann sitzt zum Tode verurteilt in einer Gefängniszelle in Pennsylvania. Er streitet die ihm vorgeworfene Tat verzweifelt ab. Auch die Indizien sind zu seinen Gunsten. Für die meisten Europäer ist dies ein trauriges Schicksal im fernen Amerika – auch für die 10 d der Stefan-Andres-Realschule in Schweich. Doch die Jugendlichen beziehen Stellung.

Die Jungen und Mädchen der Klasse 10 d können nicht verstehen, dass eine im Grundsatz demokratisch gesinnte Gesellschaft wie die der USA so eisern an der Todesstrafe festhält. Damit stehen die Jugendlichen im Konsens mit einer Mehrheit: Immer wieder sorgten in jüngerer Zeit Hinrichtungen in US-Gefängnissen weltweit für Abscheu. Auch eine amerikanische Minderheit kämpft verzweifelt gegen diese archaische Bestrafungsform an, zumal viele der Todeskandidaten bis zuletzt glaubhaft ihre Unschuld beteuern. Verurteilter ist kein anonymer Fall

Dies gilt auch für den 35-jährigen Jimmy Dennis aus Pennsylvania, ein farbiger US-Bürger und Vater zweier Töchter, den ein Gericht wegen Mordes an einer jungen Frau zum Tode durch die Giftspritze verurteilt hat. Schon seit Jahren wartet Dennis in der Zelle auf den Hinrichtungstermin, und mit Bangen verfolgt die Klasse 10 d aus Schweich sein Schicksal. Der Anstoß, sich mit der Problematik zu befassen, kam von Realschullehrer Steffen Reinhard, der die Klasse in Englisch und Sozialkunde unterrichtet. "Das ist kein Antiamerikanismus, sondern wir wollen nur zeigen, wie inhuman die Todesstrafe ist, und wie sie zutiefst die Menschenwürde verletzt", sagt er. Der Häftling in der Todeszelle ist jedoch kein anonymer Fall für die Jungen und Mädchen aus Schweich. Es besteht Briefkontakt mit dem Betroffenen, und die Klasse hat sich intensiv mit den Hintergründen seines Falls auseinander gesetzt, auch mit der Frage, wie es zu der Anklage gegen Jimmy Dennis kam. Hilfreich sind dabei eine von Todesstrafegegnern initiierte Internetseite und die Arbeit der deutschen Initiative "Alive". Sind die von der Initiative aufgezählten Hintergründe zu der Tat korrekt, bei der 1991 eine Frau in Pennsylvania auf offener Straße erschossen wurde, dann sitzt Todeskandidat Jimmy Dennis für einen Unbekannten ein, der seinerzeit tatsächlich abgedrückt hatte. Überprüfen lässt sich das aus der Ferne natürlich nicht. Aber die Klasse 10 d und viele andere sind überzeugt, dass sich Dennis zur Tatzeit gar nicht am Ort des Geschehens aufgehalten hatte. Dafür spricht auch, dass er sich selbst bei der Polizei meldete. "Er wollte die Sache noch klären, als er merkte, dass der Verdacht sich auf ihn richtete", sagen die Schüler. Doch die Polizei glaubte ihm und den Entlastungszeugen nicht. Sie nahm ihn fest. Realschullehrer Reinhard erzählt: "Das übliche Schicksal folgte. Während sich Begüterte in den Staaten in der Regel mit Staranwälten aus so einer Situation herauswinden können, ist ein Mittelloser wie Dennis, der gerade eine kleine Band gegründet hatte, dem Verfahren hilflos ausgeliefert." Vier Briefe aus der Todeszelle trafen bisher im Schweicher Schulzentrum ein. Der Inhalt der in klarer Handschrift und verständlichem Englisch verfassten Schreiben ist bedrückend. Unter dem Titel "Praying for the truth" (sinngemäß: Flehen um die Wahrheit) schildert Dennis den tristen Tagesablauf und die Hoffnungslosigkeit in der Todeszelle. Doch er kämpft weiter. Vor einem Jahr fand eine Anhörung statt, aber sein Antrag auf einen neuen Prozess, bei dem alle entlastenden Indizien auf den Tisch kommen sollten, wurde abgelehnt. Die 10 d will - wie viele andere - den Kampf des Jimmy Dennis' um ein neues Verfahren finanziell unterstützen. Was der Mann braucht, ist ein guter Rechtsbeistand. Also planen die Schüler Verkaufs- und Sammelaktionen zu seinen Gunsten. Auch die Initiative "Alive" will die Klasse in Schweich besuchen. Für Jimmy Dennis ist ein Spendenkonto eingerichtet worden: Deutsche Bank 24 Bocholt, Alive e.V., Konto: 3100088, BLZ: 42870024, Kennwort: Jimmy Dennis. Mehr Informationen zu dem Fall von Jimmy Dennis sind im Internet zu finden unter www.jimmydennis.de.

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