Das Gedächtnis der Zivilisation

Die ehemaligen Kiesgruben in Kanzem liefern Lehrstücke, die mit einigen Klischees aufräumen. Die Tatsache, dass dort immer wieder eingegriffen wird, dass man auslichtet, zurückschneidet, Erde umschichtet zeigt ja eins ganz deutlich: Es geht im Naturschutz nicht darum, auf einem abgegrenzten Areal irgend etwas wachsen zu lassen.

Das Ergebnis wäre wahrscheinlich ziemlich enttäuschend. Auch die aktuelle Diskussion um die aufgegebenen Weinberge und deren Bepflanzung ist ja nur aufgekommen, weil allen Beteiligten klar wurde: Schützenswert ist nicht der Wildwuchs, sondern die Kulturform, so ungeordnet Biotope auch wirken mögen. So wie viele Pflanzen im heimischen Hausgarten importierte Exoten sind, auch wenn sie so heimisch wirken wie Rosen oder Ringelblumen, so ist die Artenvielfalt in unserer Umgebung erst durch den Menschen entstanden - durch seine Eingriffe und die Reaktionen der Natur auf diese Eingriffe. Die reiche Natur unserer Region besteht zum größten Teil aus "Kulturfolgern". Manche Pflanzen, die mittlerweile selten geworden sind, wie die Kornrade, haben sich im Gefolge der Landwirtschaft angesiedelt. Naturschutz bedeutet darum auch: Die Erinnerung bewahren an ältere Kulturformen. Die Natur ist das Gedächtnis der Zivilisation. Wenn das so ist, besteht allerdings auch kein Grund mehr für den verbreiteten Hochmut von Naturschützern oder solchen, die sich dafür halten, gegenüber dem angeblichen "Einheitsgrün" des Hobbygärtners. Wer den Garten nach seinen privaten Ordnungsvorstellungen bestellt, handelt legitim und verhält sich keinesfalls naturwidrig. Es sei denn, er kippt zentnerweise Gift auf seine Blumen. m.moeller@volksfreund.de

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