Das Glück liegt im Westen

ONSDORF. (hpü) Es erinnert ein wenig an den Titel eines Romans: Olga Rehl – eine Frau, die aus der Kälte kam, um in der Ferne ihr Glück zu suchen. Was die gebürtige Russin mit ihrer Familie in Onsdorf gefunden hat, ist zumindest menschliche Wärme. Der Begriff "Heimat" ist ihr seit jeher fremd.

Stahlblauer Himmel, ein paar Birken mit vom Herbst leuchtend gelb gefärbten Blättern, und zwischen den Stämmen schimmert das Wasser eines ruhig daliegenden Sees - oft betrachtet Olga Rehl das große Bild im Flur ihres Hauses in Onsdorf. Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke aus ihrer alten Heimat: ein kleiner Ort nahe der russischen Millionenstadt Novosibirsk mitten in Sibirien. Den Begriff "Heimat" kenne sie jedoch eigentlich nicht, sagt Rehl. Als Tochter deutschstämmiger Eltern habe sie sich in Russland immer als eine Art Fremdkörper gefühlt. Vor rund sieben Jahren kam die heute 48-Jährige mit ihrer Familie nach Deutschland. Der Hauptgrund, ihr Glück tausende von Kilometern weiter westlich in einem fremden Land zu suchen, seien die untragbaren Lebensumstände in Sibirien gewesen. Als gelernte Bauingenieurin hatte sie bis dahin unter anderem bei einer Baufirma und in einem Sägewerk gearbeitet. "Wegen der niedrigen Einkommen kann man in Russland nicht von einer einzigen Arbeitsstelle leben", erzählt Rehl. Dass es der Familie einigermaßen gut ging, lag in erster Linie an ihrem kleinen Bauernhof. Nicht zuletzt durch den Zerfall der Sowjetunion verschlechterten sich die Lebensumstände im Lauf der Zeit jedoch zunehmend. "In den letzten drei Jahren habe ich keinen Lohn mehr bekommen", berichtet Rehl. Das, was man zum Leben brauchte, habe man sich durch Tauschgeschäfte besorgt - "beispielsweise ein Stück Vieh gegen Benzin fürs Auto". Geld habe immer dann gefehlt, wenn Reparaturarbeiten nötig gewesen seien. Zudem sei langfristig ein Bauernhof ohne finanzielle Mittel nicht zu betreiben. Eine Unterstützung von der Regierung habe es aber nicht gegeben. Die steigende Armut in der Bevölkerung habe die Situation zusätzlich verschärft. "Es gab Leute, die sich das, was sie brauchten - zum Beispiel Schafe, Rinder oder Strohballen -, kurzerhand gestohlen haben", sagt Rehl. Sie selbst habe viel gearbeitet, aber quasi über Nacht sei alles umsonst gewesen: "Am Ende haben wir uns entschlossen, das Land zu verlassen - nicht zuletzt der Kinder wegen, für die es dort keine Zukunft gibt.""Wir fühlen uns sehr wohl hier"

Vor sieben Jahren kam Olga Rehl mit Ehemann Vladimir, den zwei Kindern und ihren Eltern nach Deutschland. Unter anderem lebten sie einige Zeit in Tawern, bevor das Ehepaar vor rund zwei Jahren ein Haus in Onsdorf kaufte, wo die 48-Jährige bei der Traubenernte geholfen hatte. Das Haus wurde hauptsächlich in Eigenarbeit renoviert. Während Olga Rehl derzeit in einem Supermarkt im luxemburgischen Grevenmacher arbeitet, ist ihr Mann arbeitslos. "Wir fühlen uns sehr wohl in dem kleinen Dorf", sagt Rehl. "Wir haben nicht das Gefühl, Fremde zu sein." Ein Großteil der Onsdorfer habe sie inzwischen als Bürger der Gemeinde akzeptiert. Ob sie jemals Heimweh verspürt habe? "Nein, denn eine Heimat habe ich eigentlich nie gehabt." Zwar sei ihr das Weggehen einst nicht leicht gefallen, "aber wenn es für mich eine Heimat gibt, dann liegt sie bestimmt in Onsdorf".

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