Das Schweigen der Pfeifen

TRIER/KONZ. Während der Feier des letzten Abendmahls verstummen am heutigen Gründonnerstagabend die Kirchenorgeln. Erst in der Auferstehungsfeier der Osternacht sollen die Instrumente wieder erklingen.

Karfreitag, Pfarrkirche St. Johann in Konz - Brigitte Biewer traut ihren Ohren nicht: Inmitten der Liturgie ertönt plötzlich die Orgel. Nicht, dass die Klänge des Instruments den Kirchenraum erbeben ließen, doch die außerplanmäßige Orgelmusik verleidet Brigitte Biewer die Andacht. "An Karfreitag muss absolute Stille herrschen", sagt die Konzerin, nur dann könne sie die wahre Bedeutung des Moments erfahren, den Beginn der Grabesruhe. Werde diese Stille durchbrochen, sei auch die beklemmende Stimmung dahin, sagt Brigitte Biewer. Und um dieser Gefahr nach den vergangenen Jahren dieses Mal auszuweichen, kann es für sie nur eine Konsequenz geben: "An Karfreitag gehe ich in eine andere Gemeinde."Tradition reicht bis ins Mittelalter

Brigitte Biewer ist keine Traditionalistin, die zum Selbstzweck an Altbewährtem festhalten möchte. Doch auf Rituale wie das so genannte Orgelfasten zwischen Gründonnerstag und der Osternacht legt sie Wert. "Weil ich mich in diesem Moment unheimlich verbunden fühle mit ganz vielen Menschen", beschreibt sie ihre Gefühle an Karfreitag. Wenn an Gründonnerstag in den Kirchen das letzte Abendmahl gefeiert wird, verstummen nach dem Gloria die Orgeln in nahezu allen katholischen Gotteshäusern Deutschlands. Auch die Glocken werden drei Tage nicht geläutet, wofür es früher eine ebenso kindgerechte wie wahrheitswidrige Erklärung gab: "Die Glocken fliegen nach Rom", begründeten Eltern ihren Kindern das plötzliche Verstummen des Geläuts. Erst beim Gloria der Osternacht sollen Glocken und Orgeln wieder erklingen, heißt es im Direktorium der Diözese Trier, einer Art liturgischem Leitfaden durchs Kirchenjahr. Von einem "Gewohnheitsrecht" und einer sehr alten Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreiche, spricht der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts, Eberhard Amon. Im Direktorium ist ausdrücklich von "sollen" die Rede, es handelt sich also nicht um eine zwingende Vorschrift des Kirchenrechts. So muss auch Dekanatskantor Karl-Josef Kreutz, Organist von St. Johann in Konz, keinerlei Sanktionen fürchten, sollte er auch an Karfreitag wieder das Instrument spielen. Überhaupt zweifelt auch er ja nicht am Sinn der Tradition, sondern erklärt das Brechen des Orgelfastens mit dem Durchschnittsalter seines Kirchenchors: Da sei die instrumentelle Unterstützung des Gesangs einfach notwendig. In der Hohen Domkirche wäre Orgelspiel an Karfreitag schier "undenkbar", sagt unterdessen Domkapellmeister Stephan Rommelspacher. Schließlich handele es sich ja nicht nur um eine "tief verwurzelte Tradition", sondern auch um einen besonderen Ausdruck der Trauer, die mit Karfreitag nun einmal einhergehe, so Rommelspacher. Dekanatskantor Burkhard Pütz äußert sich differenzierter: "Wenn man sich für ein Stück entscheidet, zu dem Orgelbegleitung einfach dazu gehört, macht es keinen Sinn, diese wegzulassen", meint der Organist und nennt als Beispiel die Aufführung einer Passion. Grundsätzlich ist jedoch auch Pütz davon überzeugt, dass das Orgelfasten die besondere Stimmung an Karfreitag am ehesten zum Ausdruck bringe. Die "archaische Kargheit" der gesamten Liturgie werde auf diese Weise unterstützt, so Pütz. Deshalb empfiehlt er grundsätzlich, nach Stücken zu suchen, die der jeweilige Chor auch ohne instrumentelle Begleitung bewerkstelligen kann. Für Rommelspacher hat indes die Qualität des Gesangs nicht die höchste Priorität an Karfreitag: In der Liturgie höre er "lieber jämmerlichen Gesang als die Orgel".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort