Der andere Erich Kästner

HERMESKEIL. Viele kennen Erich Kästner als Kinderbuchautor. Im Johanneshaus in Hermeskeil zeigte der Aachener Kabarettist Hans Georgi die "erwachsene" Seite des messerscharfen einfühlsamen Beobachters seiner Zeit.

"Ida, Kästners Mutter habe sich um Kopf und Kragen genäht, damit der Junge es gut hat", erzählt Hans Georgi. Die Eltern hätten um die Gunst des Filius, der zum Meister im Aufzeigen von Widersprüchen in Sachsen heranwächst, ewig gewetteifert. Aus dem Leben des Schriftstellers rollt der Kabarettist immer wieder feinsinnig Anekdoten und Fakten auf. Dann, wenn er nicht die vertonten Texte des Schriftstellers gesanglich oder sprechend wieder gibt. Musikalisch begleitet Meinolf Bauschulte den Satiriker.Hoch sensibel und nachdenklich

Die Zuschauer lernen an diesem Abend, der im Rahmen des Hermeskeiler Kulturherbstes stattfindet, die unpopulärere Seite des Erich Kästner, die für Erwachsene kennen: Kästner offenbart sich in seinen Versen als sensibler Mann, dessen Wortspielereien bewegen, nachdenklich stimmen manchmal auch erschrecken. Erich Kästner ist nichts Widersprüchliches seiner Zeit entgangen. Mal gibt Georgi die kritischen Gedanken Kästners wieder, die er sich zur Zeit der Wirtschaftskrise und der Weimarer Republik und später während des Terrors des Nazi-Regimes machte, und spitzzüngig zu Papier brachte. Mal prangert er in Texten, aus denen durchaus der blanke Hass spricht, die Reichen an oder er lässt kein gutes Haar an Erwachsenen, die Kindern, die Kindheit stehlen. Hautnah habe Kästner als Kind erfahren, was es heißt, jeden Groschen umdrehen zu müssen, während die bucklige wohlhabende Verwandtschaft protzte, erzählt Georgi. Mit Weihnachtsmütze und einem ewigen Grinsen singt der Aachener Künstler ein bewegendes Kästner-Potpourri aus Weihnachtsklassikern, das die Gefühle der Zuhörer durcheinander wirbelt: die wissen auch nicht, ob sie weinen oder ob sie lachen sollen. "Morgen kommt der Weihnachtsmann, allerdings nur nebenan…. Stille Nacht, heilige Nacht, wenn es geht, weint nicht, sondern lacht." Wie ein roter Faden zieht sich durch das nachdenklich-unterhaltsame Programm, dass Georgi das Publikum, eben noch in die Lyrik des scharfen Beobachters Kästern versinken lässt, und es dann schlagartig in das "Jetzt" holt. Georgi webt einen Abend aus Kästner Texten und sozialkritischen Anmerkungen, die von Gentechnik bis zur Verschuldung von Jugendlichen, Missstände in 2004 aufzeigen. Dabei haben auch die Texte des Schriftstellers, der im wilhelminischen Deutschland groß wurde, durchaus noch heute ihre Gültigkeit und nichts an Brisanz verloren.Zwischenmenschliche Katastrophen

Doch nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung hat der Künstler des Beobachtens zu Wortspielen inspiriert. Auch die zwischenmenschlichen Katastrophen wie eine enttäuschte Liebe bewegten ihn. Der wachsame Zuhörer erkennt, dass die Texte seinen inneren Zwiespalt und auch Unfähigkeit echte Gefühle zu äußern widerspiegeln. Seine Mutter sei sein Leben lang die Nummer eins in seinem Leben gewesen. Nie sei es ihm wirklich gelungen das enge Mutter-Sohn-Band, das vielleicht ausschlagebend für seine "Niederlagen" in Sachen Liebe war, zu durchtrennen, plaudert Georgi. Die teilweise monotone Vortragweise des Aachener Künstlers und das Kabarettprogramm, das phasenweise abgespult wirkt, werden durch Kästners bedeutungsvolle Worte - eine Gebrauchslyrik für Erwachsene - ausgeglichen. Ein amüsant-kritischer Abend, für den sich das Publikum auf Anweisung von Hans Georgi mit einem "Applaus nach oben" - bei dem 1974 verstorbenen unvergesslichen Autor bedankt.

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