Der Volksfreund gehört zu ihrem Leben

RIOL. Nachts, wenn alle schlafen, dreht Katharina Welter ihre Runde durchs Dorf. Bei Schnee und Eis, Blitz und Donner sorgt die 78-Jährige dafür, dass die TV-Leser am Morgen ihre Tageszeitung lesen können.

"Oh je, diese Nacht war es schlimm", sagt Katharina Welter. "Es hat geblitzt und geregnet." Angst hatte sie, ihr "Wägelchen" anzufassen, aber sie ist trotzdem weiter gegangen. "Damit die Leut´ zur gewohnten Zeit den Volksfreund lesen können." Ihre Jacke war pitschnass, sie hängt zum Trocknen in der Garage, ihrer "Werkstatt". "Hier nehme ich morgens die Zeitungspakete in Empfang und sortiere sie in die beiden Wägelchen ein." Alles hat bei Katharina Welter seine Ordnung. Jeder Tag endet für die 78-Jährige um 19 Uhr. "Dann gehe ich ins Bett." Schließlich muss sie um ein Uhr raus aus den Federn. Dann wartet sie auf das "Volksfreund-Auto", zieht das Garagentor hoch, und die Arbeit beginnt. "Das ist richtig schwere Arbeit", sagt die Seniorin. Katharina Welter hat ein ausgeklügeltes System, das keinen Raum für Fehler lässt. Und sie hat Mut. Jugendliche, die nachts im Auto neben ihr hielten und fragten, ob sie eine Zeitung haben könnten, hat sie vertrieben. "Die sind alle abgezählt, macht das ihr wegkommt", habe ich denen gesagt. Sie bezeichnet sich als radikal und lässt sich nichts gefallen. Auch die Polizei hat schon mehrmals um ihre Mithilfe gebeten. "Die haben schon ein paar Mal gefragt, ob ich dies oder jenes Auto gesehen habe." Einmal wurde sie von einem Hund angesprungen. Aber nur einmal. "Ich habe darauf bestanden, dass er eingesperrt wurde." Um sechs Uhr ist die "Schicht" vorbei. Dann legt sich "Merten Käddi", wie die Rioler ihre Zeitungsfrau nennen, für eine Stunde hin. Schließlich hat sie 15 Kilometer Austrag-Route hinter sich und nebenbei noch 159 Stufen erklommen. Nach dem Aufstehen hat die Mutter eines Sohnes und Oma von Enkeltochter Sabrina (12) Zeit, den Volksfreund "von vorn bis hinten zu studieren". Die Schlagzeilen kennt sie schon. "Die überflieg ich vor dem Austragen." Nachdem sie wieder auf dem Laufenden ist, erledigt die waschechte Riolerin ihren Haushalt oder greift zu Wolle und Nadeln. Seit vier Jahren ist sie Witwe. Ihre Schwester Margareta Schneider kommt regelmäßig zu Besuch oder um sich die Haare einrollen zu lassen. "Ät Käddi hat gut Geschick mit den Haaren", sagt die 80-Jährige. Kein Wunder, Katharina Welter wollte immer Schneiderin oder Friseurin werden. Stattdessen hat sie bis zur Geburt ihres Sohnes kleine Musterschuhe bei Romika angefertigt. Heute poliert sie mit ihrem Honorar als Zustellerin ihre Rente auf und "es ist eine schöne Aufgabe im Alter". Stolz ist sie, dass viele Rioler sagen, "wenn ät Käddi nicht mehr geht, bekommen wir die Zeitung nicht mehr so früh."

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