Die Nacht der Zerstörung

In diesen Tagen jährt sich zum 70. Mal die Reichspogromnacht. Auch in Hermeskeil wurden 1938 die Geschäfte und Wohnungen jüdischer Mitbürger zerstört und geplündert. Beinahe wäre - wie in vielen anderen Städten - auch die Synagoge in der Martinusstraße in Flammen aufgegangen. Doch das wurde durch das Einschreiten eines Landwirts verhindert.

Hermeskeil. Als die "Nacht, in der die Synagogen brannten", hat das vom Nazi-Regime gelenkte Reichspogrom am 9./10. November einen unrühmlichen Platz in der deutschen Geschichte eingenommen (siehe Extra). Der TV wirft anlässlich des 70. Jahrestags einen Blick auf die historischen Ereignisse in Hermeskeil.

Die Vorgeschichte: 1840 war aus Thalfang die erste jüdische Familie nach Hermeskeil gekommen. Durch Zuzug wuchs die Gemeinde weiter an. Es wurde eine "israelitische Religionsgesellschaft" gegründet, die 1880 einen Friedhof anlegte. Zu dieser Zeit wurde nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft "Alemannia Judaica", die die Geschichte der Juden im süddeutschen Raum erforscht, auch die Synagoge in der Martinusstraße erbaut.

Ihren Höchststand erreichte die jüdische Gemeinschaft 1925 mit 45 Personen - bei einer Gesamteinwohnerzahl von circa 2800. Erste antisemitische Vorfälle ereigneten sich bereits vor der Machtübernahme der Nazis. So wurde 1929 der Friedhof geschändet. Ein weiterer Übergriff ist im Jahr 1936 überliefert, als die Fenster von fünf jüdischen Häusern eingeworfen wurden.

Die Pogromnacht: Mutwillige Zerstörung und Plünderungen kennzeichneten am 9./10. November 1938 das Geschehen in Hermeskeil. "Es wurden Schaufenster von Geschäften zertrümmert und die Auslagen auf die Straße geworfen", sagt Kurt Bach. Die Täter seien in erster Linie die Mitglieder der schon 1926 gegründeten SA-Ortsgruppe gewesen, so der Heimatforscher weiter. Anders als in älteren Quellen berichtet, kam es aber nicht zu einer Brandstiftung in der Synagoge, "obwohl die Horden das wohl beabsichtigt hatten". Wie Bach herausgefunden hat, stellte sich ihnen jedoch ein Landwirt in den Weg, dessen Anwesen in der schmalen Häuserzeile direkt neben dem jüdischen Gemeindezentrum lag.

Aus Angst um sein eigenes Hab und Gut habe er den SA-Männern gedroht: "Dem Ersten, der hier Feuer legen will, renne ich meine Mistgabel in den Pans." Dieser deftige Ausbruch zeigte Wirkung. Die Synagoge ging nicht in Flammen auf, allerdings drangen die NS-Schergen in sie ein und schändeten sie. "In welcher Form das geschah, ist unklar", sagt Bach. Andere Quellen berichten, dass die Inneneinrichtung zerstört wurde.

Exzesse wie im nahen Thalfang, wo die Kultgeräte und Bücher der dortigen Synagoge auf die Straße geworfen und anschließen verbrannt wurden, habe es in Hermeskeil aber wohl nicht gegeben, so Bach.

Die Folgen: Die Pogromnacht markierte das Ende der jüdischen Gemeinde, die bereits auf elf Personen geschrumpft war. "Sie war auch für die letzten Verbliebenen das Signal, Hermeskeil zu verlassen", sagt Bach. Das galt unter anderem für die Familie von Tierarzt Dr. Moritz Kahn. Sie wurde zwangsenteignet und musste ihr Haus in der Trierer Straße 55 der Gemeinde überlassen. Es diente danach als Schulungsstätte der Hitlerjugend. Auch die Synagoge wurde nach Angaben der Quellen "zweckentfremdet". "Wofür sie genutzt wurde, ist aber unbekannt", so Bach. Gesichert ist hingegen das Datum ihrer endgültigen Zerstörung. Bei einem Bombenangriff der US-Luftwaffe wurde sie am 15. März 1945 mit der gesamten Häuserzeile in Schutt und Asche gelegt. An ihren einstigen Standort erinnert seit 1978 eine Gedenktafel. Hintergrund: Die Reichspogromnacht, die eine gezielte Aktion der Nazis gegen Leben, Einrichtungen und Eigentum der in Deutschland lebenden Juden war, wird oft auch als "Reichskristallnacht" bezeichnet. Mit diesem Begriff wird das Geschehen aber nur heruntergespielt. Es ging nicht bloß um zerbrochene Schaufenster. Es gab rund 400 Tote. Vor allem aber markierte das Pogrom einen entscheidenden Übergang: Die bereits mit den Nürnberger Gesetzen 1935 forcierte Entrechtung und Diskriminierung der deutschen Juden steigerte sich seit dem 9./10. November 1938 zur systematischen Verfolgung. Sie mündete nach der Wannseekonferenz 1942 in die "Endlösung" und den Holocaust an den europäischen Juden.

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