Duschen unterm Wasserfall

HERMESKEIL. Disko? Kino? Party? Keine Chance. Übernachten unter freiem Himmel, Löwenzahnsuppe zum Frühstück, Duschen unter einem Wasserfall war angesagt: Elf Jugendliche aus dem Hochwald verzichteten zwei Tage lang auf jeden Komfort und erreichten während eines Überlebenstrainings ihre Leistungsgrenzen.

 Man sieht dieser Gruppe nicht an, was sie hinter sich hat: 50 Kilometer Fußmarsch, zur Stärkung Stockbrot und Löwenzahnsuppe, die Überwindung einer Felswand und dazwischen nur wenige Stunden Schlaf.Foto: Katja Krämer

Man sieht dieser Gruppe nicht an, was sie hinter sich hat: 50 Kilometer Fußmarsch, zur Stärkung Stockbrot und Löwenzahnsuppe, die Überwindung einer Felswand und dazwischen nur wenige Stunden Schlaf.Foto: Katja Krämer

18 Uhr, an den Irreler Wasserfällen bricht die Dämmerung an. Elf junge Leute stehen zusammengerottet am Waldrand. Sie sind ausgerüstet mit wetterfester Kleidung, Schlafsack und Iso-Matte. Einen Becher hat jeder dabei, doch das war's. Kein Proviant, keine Zelte, keine Gameboys oder Radios. Eines ist klar: Das wird kein Camping-Ausflug.Erlebnispädagoge Norbert Reinert führt die Gruppe in den Wald. "Jeder sammelt eine Handvoll Löwenzahn", sagt er. Den Gesichtern einiger Teilnehmer ist deutlich anzusehen, dass sie sich fragen, worauf sie sich hier wohl eingelassen haben.Bernd Hermesdorf, Jugendpfleger der Verbandsgemeinde Hermeskeil, und die Erlebnis- und Heilpädagogen Dieter Frank und Norbert Reinert haben die Idee entwickelt, Jugendlichen mit einer 48-Stunden-Tour durchs Gelände zu vermitteln, was sie alles aushalten können. Die Überwindung von natürlichen Hindernissen und die Konfrontation mit Schlafmangel, Erschöpfung und Hunger - gegessen wird nur "vom Tisch der Natur" - sollen den jungen Leuten ein besonderes Erlebnis und eine Steigerung des Selbstwertgefühls vermitteln.Ohne Taschenlampe wandert die Gruppe durch den Wald. Die Finsternis vertreibt nur der hell leuchtende Vollmond. Nach fünf Stunden Fußmarsch sucht die mittlerweile müde gewordene Gruppe einen Lagerplatz. Steine und Geröll werden für die Nacht unter freiem Himmel beiseite geräumt.Das Team sammelt Holz, bald prasselt ein Lagerfeuer. Statt Würstchen gibt's ein feines Süppchen. In einem Blechtopf wird aus Quellwasser und dem gesammelten Löwenzahn die Mitternachtsmahlzeit zubereitet. "Die schmeckt ja scheußlich", murmelt einer.Ein Süppchen mit Tannennadeln

"Das hat sehr nach Natur geschmeckt, irgendwie nach Gras", sagt Peter Handt (17) aus Thalfang und verzieht das Gesicht. In der Brühe schwimmen auch ein paar Tannennadeln. Todmüde schläft die Gruppe ein. Doch die Kälte raubt vielen schon nach wenigen Stunden den Schlaf.Entsprechend erschöpft sind die jungen Überlebenskünstler am nächsten Morgen. "Ich habe mich immer wieder herumgewälzt", erzählt Sarah Räsch (16) aus Geisfeld von der schier endlos langen Nacht unterm Himmelszelt.Anstatt leckerer Marmeladenbrötchen und warmem Kakao gibt es zum Frühstück den Rest der Löwenzahnsuppe. "Ich würde alles für ein Brot geben", sagt Nico Herrmann (15) aus Bescheid.Dabei haben die Teilnehmer gerade mal das Vorspiel der Survival-Tour erlebt. Vor ihnen liegt eine zwölfstündige Wanderung. Nach mehrstündigem Fußmarsch muss die Gruppe eine Felswand überwinden.Sie schaffen es alle. Und alle müssen mit sich kämpfen. Jeder Teilnehmer wird abgeseilt. "Ich hatte total viel Angst", sagt Nicole Lühnenschloss (16) aus Lampaden, als sie wieder festen Boden unter sich hat."Alle Teilnehmer konnten ihre Ängste überwinden. Eine Erfahrung, die man im Leben sonst nicht machen kann", kommentiert Norbert Reinert. Auf dem Weg zur nächsten Schlafstätte, einer Höhle, stärkt sich die Gruppe. Buckecker und Sauerklee werden verspeist, Quellwasser getrunken und aus Brennnesseln eine Suppe und Tee gebrüht.Das ist zu viel. Körperliche Strapazen sind ja noch zu verkraften, aber ständig Hunger leiden wollen zwei Teilnehmer nicht mehr. Sie brechen das Überlebenstraining ab. "Das Überlebenstraining ist kein Spaziergang", sagt Norbert Reinert. Doch der Ausstieg der beiden wird zur Motivation für die restlichen neun Teilnehmer. Sie wollen erfahren, wo ihre Grenzen sind. Zur Belohnung lockt ein Stockbrot zum Abendessen."Endlich mal was Beißfestes", freut sich Nico. Tief und fest schläft die Gruppe in der Höhle. "Die Müdigkeit hat in dieser Nacht über die niedrigen Temperaturen gesiegt", sagt Sarah am nächsten Morgen. Apropos niedrige Temperaturen: Die Jungen und Mädchen duschen unter den eiskalten Wasserfällen."Ich bin hellwach und topfit", sagt Nicole hinterher. Bianca ist an ihren Grenzen angelangt. Als Langsamste führt sie schweren Schrittes die Gruppe an. Die Teilnehmer müssen zusammenhalten und sind aufeinander angewiesen. "Die Gruppe ist so stark wie ihr schwächstes Glied", sagt Norbert Reinert.Marsch über 50 Kilometer

Nach dem 50 Kilometer-Marsch und Abenteuer pur in der Natur trudeln die erschöpften Mädchen und Jungen auf dem Parkplatz an den Irreler Wasserfällen ein. Sie sind stolz, das Training durchgestanden zu haben, und wollen nur noch nach Hause."Es war eine tolle Erfahrung", darin sind sich alle Teilnehmer einig. "Ein guter Ausgleich zur Schule", meint Nicole. 48 Stunden in der Natur hat sie als beruhigend empfunden, ein Gegenstück zum stressigen Alltag eines Teenagers im Informationszeitalter. "Kein Handy klingelte, keine E-Mail musste gelesen werden. Unser einziger Druck war, dass wir das Ziel erreichen mussten."Sarah hat dazugelernt: "Ich habe meine Grenzen kennen gelernt und habe erkannt, dass vieles, was im Leben so normal scheint, gar nicht so normal ist. Vorher bin ich einfach in die Badewanne - und heute Abend weiß ich, warum ich in die Badewanne gehe."

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