Eine Chronik, die Fingerspitzengefühl verlangt

Hinzert-Pölert · In etwa einem Jahr soll sie fertig sein, die Chronik der Ortsgemeinde Hinzert-Pölert. Autor Dittmar Lauer ist seit fünf Jahren dabei, die von der NS-Zeit überschattete Entwicklung der beiden unfreiwillig fusionierten Dörfer aufzuarbeiten.

 Der Keller Historiker Dittmar Lauer in seinem Element: umringt von sich stapelnden Fachbüchern sowie von alten Handschriften, Landkarten und Dokumenten. TV-Foto: Ursula Schmieder

Der Keller Historiker Dittmar Lauer in seinem Element: umringt von sich stapelnden Fachbüchern sowie von alten Handschriften, Landkarten und Dokumenten. TV-Foto: Ursula Schmieder

Dittmar Lauer ist ein erfahrener Chronist und mit der regionalen Geschichte bestens vertraut. Das belegen seine zahlreichen Publikationen (siehe Extra), zu denen auch für Mehring, Vierherrenborn und Sommerau verfasste Chroniken zählen. Sein aktuelles Projekt, die Ortschronik Hinzert-Pölert, ist aber mit keiner seiner bisherigen Arbeiten gleichzusetzen, wie der 76-Jährige einräumt: "Für mich persönlich ist das eine Herausforderung."Ortsteile unterschiedlich geprägt


Denn in dem Buch, das bis Ostern 2015 erscheinen soll, wird die jüngere Geschichte einen wesentlichen Part einnehmen. Genauer die des SS-Sonderlagers/KZ Hinzert, an dessen Opfer eine Gedenkstätte sowie ein Dokumentations- und Begegnungshaus erinnern. Zwischen 1939 und 1945 kamen dort nachweislich mindestens 321 Menschen - vorwiegend aus Luxemburg, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Polen - ums Leben. Tatsächlich waren es weit mehr, die ermordet wurden oder an den Folgen von Lagerterror, Krankheit, Entkräftung oder Hunger starben.
Neben diesem dunklen Kapitel der Dorfgeschichte gilt es für Lauer, die jahrhundertealte Geschichte zweier völlig unterschiedlich geprägter Ortsteile aufzuarbeiten. Sichtbare Zeugen sind Schulen, Bürgerhäuser und Kirchen, die alle doppelt existieren. Hinzert, einst Besitz des Kollegiats Stift Pfalzel, war bis 1821 eigenständige Pfarrei und gehört seither zu Beuren. Das kurtrierische Pölert orientiert sich seit alters her an Rascheid. An der kirchlichen Zugehörigkeit änderte sich auch nichts, als die Orte vor 45 Jahren fusionierten.
Zumal das unfreiwillig geschah und vom Land gegen den Mehrheitswillen der Bürger durchgesetzt wurde. Für die Ortschronik der Doppelgemeinde will Lauer daher die vielen Besonderheiten beider Dörfer darstellen. Dass sie bis heute zwar eine Straße, aber kein Fußweg verbindet, sieht er als Versäumnis übergeordneter Behörden. Zumal laut Lauer schon die Topografie ein lückenloses Zusammenwachsen nahezu unmöglich erscheinen lässt.
Im Kapitel zur Geschichte des SS-Lagers, von dem eine bisher unbekannte Luftbildaufnahme erscheinen wird, kommen auch Bürger zu Wort. Lauer will ihr Verhältnis zu Gefangenen oder zur Lagerleitung herausarbeiten. Allerdings im Sinne einer Dorfchronik "nicht nur aus Sicht der Opfer, sondern auch der Bevölkerung". Seit 2009 befragte er dafür viele Bürger und auch Leute aus der näheren Umgebung. Die heutige Distanz lasse Zeitzeugen freier über diese Zeit sprechen, bilanziert er. In den Gesprächen sei ihm immer wieder bestätigt worden, "dass es nicht mit rechten Dingen" zugegangen sei in dem Lager. Bevor die Chronik in Druck geht, will Lauer die Zeitzeugen "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" einladen. Jeder soll die Gelegenheit erhalten, sich zu Inhalten und Formulierungen äußern und diese gegebenenfalls richtigstellen zu können. Er habe die Menschen vor Ort als aufgeschlossene Leute kennengelernt, die auch die geschichtlichen Zusammenhänge einzuordnen wüssten. Daher steht für ihn fest: "Hinzert muss nicht negativ besetzt sein - Hinzert ist auch ein Zeichen für Völkerverständigung sowie gegen Gewalt und Terror."Extra

Die Liste der Publikationen von Dittmar Lauer, pensionierter selbstständiger Architekt und passionierter Historiker, ist lang ( www.dittmar-lauer.de ). Er schreibt für den Heimat- und Kulturverein Kell am See, seinen Heimatort, für die Vereinigung der Heimat- und Geschichtsfreunde sowie für den Förderverein Burg Grimburg. Zu seinen Publikationen gehören Beiträge für das dortige Burg- und Hexenmuseum sowie die 30 Jahre fortgeführten Keller Annalen oder das Buch "Wilhelm Greff, Pastor in Hermeskeil - Seelsorger und Politiker zwischen Kaiserreich und Hitlerdiktatur" des Archivkreises der Pfarreiengemeinschaft Hermeskeil-Beuren. Sein nächstes Projekt, die Chronik Thomm, ist in Vorbereitung. Die Chronik für Hinzert-Pölert, die 350 bis 400 Seiten stark wird, soll bis Ostern 2014 erscheinen. Seine Materialsammlungen will der ehrenamtliche Chronist, der auf Bürger hofft, die seine Arbeit weiterführen, der Ortsgemeinde übergeben, die dafür lediglich einen geeigneten Schrank stellen muss. red

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