Für eine Kultur des Zuhörens

SAARBURG. Die Kreissynode der Evangelischen Kirche hatte sich zu einer außerordentlichen Tagung in Saarburg getroffen, um sich einem viel diskutierten gesellschaftlichen Thema zu widmen: "Brauchen unsere Kinder mehr Erziehung?"

Die Flut an entsprechender Ratgeberliteratur, die den Büchermarkt derzeit überschwemmt, zeugt vom Orientierungsbedarf der Erwachsenen in Erziehungsfragen. "Die Kirche muss sich dieser Tatsache verantwortungsbewusst stellen", leitete Harald Boenisch vom Schulausschuss den arbeitsreichen Tag ein. Dabei ginge es vor allem darum, die Bedürfnisse der Kinder ernst zunehmen. Umfragen unter Schülern in der Region hätten ergeben, dass sich Kinder vor allem eins wünschten: Mehr Zeit mit ihren Eltern. Bestürzt habe man auf diesen Befund reagiert, sagte Boenisch. Bevor die Mitglieder der Synode sich in Arbeitsgruppen zurückzogen, lieferten die Familiensoziologin Karin Berty und der Religionspädagoge Professor Michael Meyer-Blanck das wissenschaftliche Rüstzeug, um informiert in die Diskussion einzusteigen. Sie wolle mit ihrem Vortrag das Selbstverständliche hinterfragen, verkündete Karin Berty. Sie deutete die Familie als ein dem geschichtlichen Wandel unterworfenes Phänomen und warnte vor einer Idealisierung des "Modells Kleinfamilie". Dies sei eine historisch sehr kurzlebige Form des Zusammenlebens gewesen, die sich als Reaktion auf die Industrialisierung gebildet habe. In Zeiten eines "beschleunigten Kapitalismus" bestünden individualistische Regeln, denen sich ein jeder, auch die Familie, anzupassen habe, wolle er nicht gesellschaftlich scheitern. Individualismus und Wertepluralismus seien für unsere heutige Welt nun einmal kennzeichnend. "Wer individuelle Selbstverwirklichung und Gemeinschaftserfordernisse miteinander verbindet und diese Kompetenz den Kindern vermittelt, geht den richtigen Weg", sagte Karin Berty. Dabei sei Zuhören das Wichtigste überhaupt. "Kinder müssen ein Gegenüber haben, von dem sie wahrgenommen und in dem sie sich spiegeln können", lautete das Plädoyer der Soziologin. Meyer-Blanck beleuchtete die Thematik aus theologischer Sicht. Er verwies auf die Barmherzigkeit Gottes und den damit verbunden christlichen Glauben, dass der Mensch sich zu jeder Zeit ändern könne. Doch sei ihm aufgefallen, dass Eltern immer weniger einen Sinn darin sehen würden, Werte und Wissen an die nachfolgende Generation weiter zu geben. Ohne Glauben jedoch würde Erziehung Warencharakter erhalten. Deshalb seien Eltern verunsichert, hätten ständig ein schlechtes Gewissen. Die Orientierungslosigkeit der Erwachsenen spiegele sich in den Kindern wider. "Der Mensch soll seine eigenen Grenzen nicht verkennen und auch nicht vor den anderen verbergen", riet Meyer-Blanck. Er betonte außerdem die Bedeutung der Freiheit in der Erziehung: "Den Kindern nicht die eigenen Ansichten aufzwingen, sondern mit Engagement anbieten". Die Anregungen der Referenten flossen in die Verbesserungsvorschläge der einzelnen Arbeitsgruppen ein. Die Kirche wird verstärkt Veranstaltungen anbieten, in der überforderte Eltern die nötige Hilfestellung bekommen. Eine Förderung der "Kultur des Zuhörens" stehe dabei im Mittelpunkt. "Als geistige Grundlage soll dabei stets die christliche Haltung von Nächstenliebe und Miteinander dienen", heißt es im Positionspapier, das die Synode verabschiedet hat. Kinder und Jugendliche sollten die Möglichkeit bekommen, Verantwortung durch konkrete Aufgaben zu übernehmen, bei denen sie Anerkennung erfahren und ihre soziale Kompetenzen gestärkt werden.

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