Gemeinden kämpfen gegen Tanklager im Hafen von Mertert

Temmels/Mertert/Konz · Eine Firma will im Hafen von Mertert die Kapazitäten deutlich erhöhen. Konz und andere Kommunen wehren sich.

Nur die Mosel trennt die Tanks am Merterter Hafen von den Wohnhäusern in Temmels (im Hintergrund). Jetzt soll das Lager deutlich erweitert werden – zum Ärger der deutschen Nachbargemeinden. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Nur die Mosel trennt die Tanks am Merterter Hafen von den Wohnhäusern in Temmels (im Hintergrund). Jetzt soll das Lager deutlich erweitert werden – zum Ärger der deutschen Nachbargemeinden. TV-Foto: Archiv/Friedemann Vetter

Foto: Friedemann vetter (Ve._), Friedemann Vetter ("TV-Upload vetter"

Temmels/Mertert/Konz Es ist der 10. Juli 1976. Wenige Kilometer nördlich der norditalienischen 24 000-Einwohner-Stadt Seveso passiert ein schwerer Chemieunfall. Infolge einer chemischen Reaktion kommt es zu einer Explosion, bei der Dioxin freigesetzt wird. Circa 1800 Hektar Land sind anschließend vergiftet - das entspricht der Größe von etwa 3000 Fußballfeldern. Das sogenannte Sevesounglück hat gezeigt, wie wichtig hohe Sicherheitsstandards sind, um die Folgen eines Unfalls für das Umfeld in einem Industriebetrieb möglichst niedrig zu halten. Unmittelbare Folge dieser Umweltkatastrophe sind drei Richtlinien der Europäischen Union (siehe Extra). Sie regeln, was beim Betrieb einer Industrieanlage zu beachten ist.

Herbert Schneider, Ortsbürgermeister der Obermosel-Gemeinde, weist in der jüngsten Gemeinderatssitzung von Temmels auf diesen rechtlichen Rahmen hin. Er hatte kurz zuvor gemeinsam mit Léon Gloden, Stadtbürgermeister von Grevenmacher, Jérôme Laurent, Bürgermeister der Gemeinde Mertert, und Karl-Heinz Frieden, Bürgermeister der Stadt und der Verbandsgemeinde Konz, bei der luxemburgischen Gewerbeinspektion eine Stellungnahme zum Erweiterungsvorhaben des Tanklagers im Hafen von Mertert eingereicht. Sie widersprechen den Plänen der Firma Tanklux S.A., das Lagervolumen von 90 000 auf 150 000 Liter zu erhöhen.

Die Stellungnahme hatte sich verzögert, weil erst im Dezember eine deutsche Übersetzung des Vorhabens vorlag (der TV berichtete). Zu einer auf deutscher Seite geplanten Besprechung, die für Mitte Januar geplant war, kamen dann allerdings nur Vertreter der Struktur-und Genehmigungsbehörde (SGD) Nord sowie der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Schneider ist enttäuscht, dass sowohl das Innenministerium als auch das Umweltministerium keine Vertreter geschickt haben. "Ich habe den Eindruck, dass man in den Ministerien das Problem aussitzen will. Dabei haben wir jede Menge Fragen eingereicht, auf die wir eine Antwort erwarten."

Die Kritik der vier Kommunen, die sie im Rahmen der Umwelt-Verträglichkeitsuntersuchung formuliert haben, ist deutlich: Die bislang vom Familienunternehmen Tanklux für das Tanklager sowie für die Tanklagererweiterung eingereichten Unterlagen entsprechen weder formal noch methodisch den Ansprüchen, die europarechtlich einzuhalten wären. Die Kommunen schreiben: "Das bis zum heutigen Zeitpunkt für die Bestandsanlage nicht alle Dokumente vorliegen beziehungsweise zum Teil erst auf Nachfrage vorgelegt wurden, trägt nicht zur Vertrauensbildung bei den Standortgemeinden dieses als Sevesoeinrichtung klassifizierten Tanklagers bei." So fehle etwa ein Sicherheitsbericht, wie ihn die Seveso-II-Richtlinie beziehungsweise die Störfall-Richtlinie (siehe Extra) verlangen.

In einem Sicherheitsbericht müsse - so die Stellungnahme - detailliert dargelegt sein, wie die Anlage gegen Störfälle gesichert wird, wer welche Befugnisse habe und wie im Falle eines Unglücks mit Dritten kommuniziert wird. Der Notfallplan beinhalte keine relevanten Informationen darüber, was - insbesondere auf der deutschen Seite der Grenze - zu veranlassen ist, wenn es etwa zu einer Explosion oder zu einem Leck an einem der Schiffe am Anleger kommt. Außerdem würden - so Schneider - die in internationalen Standards empfohlenen Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Tanks weder im bestehenden Lager noch nach der Erweiterung eingehalten werden. "Die haben im Altlager manchmal nur zwei Meter Abstand, statt der geforderten 15 Meter."

Für Mitte Februar ist ein Treffen mit den luxemburgischen Behördenvertretern in Esch geplant. Dort will Schneider mit seinen drei Amtskollegen die Kritik an dem Erweiterungsvorhaben nochmals mündlich vortragen. Er fürchtet, dass im Falle eines Unglücks an der zum Teil nur 200 Meter entfernten Anlage auch Temmels von Zerstörungen oder Verschmutzungen betroffen sein könnte. Das ist ein Szenario, das dem Ortsbürgermeister Angst macht.KommentarMeinung

Ein Spiel mit dem Feuer
Dass die Gemeinde Temmels Angst davor hat, dass ihnen das Tanklager in knapp 200 Metern Entfernung eines Tages um die Ohren fliegen könnte, ist verständlich. Weder gibt es auf luxemburgischer Seite einen aktuellen Notfallplan noch liegen dem Sicherheitsbericht Szenarien zugrunde, wie Menschen und Umwelt bei einem schlimmsten anzunehmenden Unfall geschützt werden können. Stattdessen wird mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert, die offensichtlich nicht internationalen Standards entsprechen. Bevor man sich auf luxemburgischer Seite Gedanken darüber macht, das Tanklager im Hafen von Mertert zu erweitern, sollte man zunächst die rechtlichen Vorgaben auf den bestehenden Betrieb anwenden. Ohne entsprechende Anpassungen wäre der Ausbau des Lagers ein gefährliches Spiel mit dem Feuer - sollen die bestehenden Lagerkapazitäten doch um 66 Prozent gesteigert werden. Alexander Schumitz saarburg@volksfreund.deDIE SEVESO-II UND DIE STöRFALL-RICHTLINIE

Extra

Die Papiere legen Standards und Informationspflichten fest, die bestimmte Industrieanlagen einhalten müssen, wenn von ihnen eine Gefahr für Menschen oder die Umwelt ausgeht. Die Europäische Union hatte hierzu erstmals 1982 eine Richtlinie (Seveso-I) erlassen, die 1996 (Seveso-II) und 2012 (Störfall) verschärft wurde. Die Bundesrepublik Deutschland hat die 2012 erlassenen Regeln erst nach Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens 2015 in nationales Recht umgesetzt. Für grenznahe Industriebetriebe gilt zudem ein Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa - eine Kommission der Vereinten Nationen. Darin ist festgelegt, dass die Behörden beider Staaten eng kooperieren, um Katstrofen zu verhindern.

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