Geschichte zum Anfassen

PERL-SINZ. Sein Bau verwandelte vor mehr als 60 Jahren die Westgrenze des damaligen deutschen Reiches in eine gigantische Baustelle: der Westwall. Einst errichtet, um einen potenziellen Angreifer aus dem Westen abzuschrecken, sind heute nur noch Fragmente der Festungsanlage übrig.

Von der deutsch-niederländischen Grenze bei Aachen bis nach Lörrach in Südbaden entstand ab 1936 eine Ansammlung von rund 20 000 Bunkern, Panzergräben, Stollen und anderen Einrichtungen, die der Landesverteidigung dienen sollten - der so genannte Westwall. Nach dem Niedergang des deutschen Reiches begannen alliierte Besatzungstruppen 1946 mit seiner Zerstörung.Doch meterdicke, stahlbewehrte Betonwände und die Vielzahl der Anlagen verhinderten eine vollständige Beseitigung. Noch heute sind Teile der einstigen Festungsanlage, darunter auch zahlreiche Bunker, zu sehen. Allein im Saarland gibt es schätzungsweise rund 500 Bauwerke dieser Art.Gemeinde zunächst skeptisch

Sebastian Kirch, 28-jähriger Bankkaufmann aus dem Obermoselort Besch, beschäftigt sich bereits seit frühester Jugend mit der deutschen Geschichte. Sein besonderes Interesse gilt der Aufarbeitung der Zeit des Dritten Reiches und der Umgang damit.Dabei beschränkt er sich nicht nur auf Bücher, Filme oder sonstige Informationsquellen. "Geschichte zum Anfassen" erlebte er nach dem Abitur zum ersten Mal, als er bei der Restaurierung eines ehemaligen Westwallbunkers in der Nähe von Saarbrücken mitarbeiten durfte.Mitte der neunziger Jahre erfuhr Kirch von der Existenz einer solchen Anlage im Perler Ortsteil Sinz. Mit dem Ziel, ein Museum zu errichten, setzte er sich mit der Gemeinde Perl in Verbindung, die ihm in der Folge das Gelände nebst Bunker überließ.Da das Bauwerk in den sechziger Jahren mit Erde zugeschüttet wurde, bestand für Kirch zunächst die Aufgabe darin, die Erdmassen zu entfernen. Freunde und Bekannte halfen ihm bei der Arbeit und so war der Bunker 1998 wieder frei zugänglich. In den folgenden Jahren gelang es dem Team um Sebastian Kirch, die Anlage vollständig zu restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Innere des 1942 errichteten Bauwerks besteht aus einem Schutzraum mit einer Grundfläche von rund 20 Quadratmetern, den der Besucher durch einen schmalen Tunnel erreicht. Ausgerüstet mit mehreren Feldbetten und einer Fernsprecheinrichtung, diente der Bunker einst als Gefechtsstand. Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges nutzten Sinzer Bürger den durch zwei Meter dicke Betonwände geschützten Raum, um sich vor Luftangriffen der Alliierten in Sicherheit zu bringen.Das Bauwerk war jedoch nicht der einzige Grund für Sebastian Kirch, aus dem ehemaligen Westwallbunker ein Museum zu machen. "Ich will mit meinem Museum eine Plattform schaffen, um Zeitgeschichte darzustellen. So gesehen soll es nur ein Ansatzpunkt für die Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte sein", erklärt der 28-Jährige.Im Vordergrund stehe hierbei nicht, Technik und Aufwand zu veranschaulichen. Vielmehr wolle er den Menschen "Geschichte zum Anfassen" bieten, um so das Interesse für das nötige Hintergrundwissen zu wecken. Kirch: "Der Westwall war letztlich das Grab vieler Soldaten und Zivilisten, die ihr Leben bei der Verteidigung einer verbrecherischen Sache und ihrer so genannten Führer verloren haben." Für die nahe Zukunft hat der gelernte Bankkaufmann auch eine begleitende Ausstellung zum Thema Westwall und dessen Beziehung zum Nationalsozialismus geplant.Das Interesse in der Bevölkerung an dem neuen Westwallmuseum scheint groß zu sein. Beim ersten "Tag der offenen Tür" Mitte Mai kamen rund 300 Besucher nach Sinz. "Die meisten waren sehr beeindruckt von dem, was sie zu sehen bekamen", freut sich Kirch. "Dabei hatte ich es anfangs nicht leicht." Nachdem in dem Perler Ortsteil bekannt wurde, dass aus dem alten Wehrmachtsbunker ein Museum werden solle, habe man in der Gemeinde zunächst mit Zurückhaltung reagiert. "Inzwischen haben die Sinzer aber wohl erkannt, dass das Museum doch eher eine Bereicherung für den Ort ist."Führungen nach Anmeldung bei Sebastian Kirch unter Telefon 06867/761.

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