Kultur Kultur Grenzerfahrung: Heavy-Metal-Haydn

Konz · Der Vokalkreis Konz setzt das Motto des Kultursommers Rheinland-Pfalz „Industriekultur“ in einer Halle von Volvo um.

 Unter Baggern: Als wollten sie die Musik schützen, streckten die Volvo-Baumaschinen ihre Ausleger über den Chor.

Unter Baggern: Als wollten sie die Musik schützen, streckten die Volvo-Baumaschinen ihre Ausleger über den Chor.

Foto: Herbert Thormeyer

Es ist eine kühne Idee, die Jahreszeiten von Joseph Haydn (1732-1809) in einer Werkhalle aufzuführen. Die Chorratsvorsitzende des Konzer Vokalkreises, Vera Quintus, fand bei Volvo einen Ansprechpartner mit offenen Ohren. Hier konnte das Konzept von Chorleiter Andreas Wagner umgesetzt werden.

„Wir beschreiben hier musikalisch vier Ebenen“, erklärt Quintus dem TV. Es geht um das Oratorium, das an der Schwelle zum Industriezeitalter komponiert wurde. Der Mensch, der Maschinen bedient, von ihnen künftig vielleicht entmündigt wird und das alles nicht nur mit Klängen, sondern auch mit viel Lichttechnik. Hinzu kommt die überraschend gute Akustik. „Diese Halle klingt wie eine Kathedrale“, findet Quintus. Regelrecht schützend wurden zwei große Bagger mit ihren Auslegern hinter den Chor gestellt, ein wichtiges Stilelement und Aussage, dass Technik dem Menschen nutzen sollte.

Was dieses Konzert so anders macht, steckt einmal im Computer mit synthetischen Klängen, die Chorleiter Wagner komponierte, und das Schlagwerk von Bernd Bleffert und Wolfgang Schliemann, die ihre Instrumente schon mal vom Schrottplatz holen und dann selbst bauen. „Sie sorgen dafür, dass Industrie hörbar wird“, sagt die Chorratsvorsitzende.

„Wir haben das nur einmal zusammen geprobt“, verrät Klangkünstler Bleffert, der auch Leiter des Festivals Open Tufa in Trier ist. Knapp 200 Zuschauer kommen in die Halle, wo es nach Ölen und Fetten riecht. Im Hintergrund surrt deutlich eine Abluftanlage. Letzte Korrekturen an der Lampenausrichtung werden von Licht- und Klangdesigner Rainer Feld vorgenommen.

Vom 35-köpfigen Chor ist noch nichts zu sehen, aber schon was zu hören. Roboterhaft bewegen sich die Sänger mit abgehackten Schritten und merkwürdige Laute von sich gebend auf die Bühne zu. Dort angekommen fallen sie zunächst in ein schallendes Gelächter. Doch dann kommt Haydn, werktreu interpretiert, und dennoch mit Spezialeffekten wie das akustisch scheinbare Entschwinden in die Nachbarhalle mit gleichzeitiger Beschleunigung des Gesangs. Das Schlagwerksduo legt los, mit Holzlatten auf einem „Vibraphon“, Fahrradfelgen, die schnarrende Geräusche machen, Blecheimern, in die Kieselsteine geworfen werden.

Discorhythmen mischen sich in den Gesang, alles untermalt mit immer neuen Lichteffekten. Tänzelnd verlassen die Sänger die Bühne, um sogleich den Zuschauern Wein auszuschenken- eine sehr angenehme Pause.

Die Perkussion setzt wieder ein, ein Lichtgewitter mit Blitzen wird akustisch verstärkt mit knallenden Blecheimern. Ein fetter Brummton erfüllt die Halle. Die Sänger murmeln Unverständliches. Und dann wieder der samtig wirkende Gesang von Haydns Monumentalwerk, das nicht minder wuchtig klingt.

Am Schluss geistert der Chor von der Bühne. Entrückt starren die Sänger hoch an die Decke, als wollten sie die Klänge mit ihren Blicken einfangen. Wie wirkt sowas aufs Publikum? Christel Müller aus Konz ist überrascht: „Das hätte ich nicht erwartet, auch nicht die Akustik wie in einer Kirche.“ Und die Konzerin Kerstin Zimmermann findet: „Diese drei Zeitalter akustisch darzustellen, das konnte man richtig gut nachempfinden.“

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