Im Zeichen der Nelke

TRIER. Überraschungen sind selten Bestandteile von traditionellen Neujahrsempfängen. Normalerweise regiert hier die Routine. Eine Ausnahme war der Empfang des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in der Europäischen Rechtsakademie Trier. Hartz IV, Agenda 2010, Gesundheitsreform - Fehlanzeige. Der Vorsitzende Karl Heinz Päulgen konzentrierte sich auf die Flutkatastrophe.

Triers DGB-Chef hatte am Freitagabend von Beginn an die Sympathien der 150 Gäste auf seiner Seite. Ein musikalisches Rahmenprogramm gab es nicht: "Wir hielten es für unpassend", erläuterte Päulgen. "165 000 Menschen haben durch das verheerende Seebeben ihr Leben verloren." Es sei nicht möglich, so zu tun, als sei "auf unserem Planeten nichts geschehen". Deshalb gab es auch keine Aussagen zum vergangenen Jahr, keine Stellungnahme zum omnipräsenten Thema Hartz IV oder zu anderen Schwerpunkten. "Es gibt andere Gelegenheiten, auf diese Themen hinzuweisen." Statt dessen stand die Nelke im Mittelpunkt - für die Gewerkschaftsbewegung das Symbol der Solidarität, das am 1. Mai getragen wird. Päulgen: "Solidarität ist nicht auf einen Tag beschränkt, sondern gilt das ganze Jahr über." Der Trierer DGB-Vorsitzende forderte seine Gäste auf, die Nelke als Solidaritäts-Pin zu erwerben und damit den Opfern der Naturkatastrophe zu helfen. Als finanziellen Sockel stellte der DGB die Gage zur Verfügung, die normalerweise die Band erhalten hätte. Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) in Brüssel, war der Referent des Abends. Sein Thema: "Europa sozial gestalten." Gerade in der Region Trier seien die Errungenschaften der europäischen Integration "in vielfacher Weise greifbar und erlebbar". Hoffmann hob das Wirken des Internationalen Gewerkschaftsrats (IGR) Saar/Lor/Lux/Trier-Westpfalz hervor, der bereits 1976 gegründet wurde und damals der erste IGR im Europäischen Gewerkschaftsbund war. Karl Heinz Päulgen ist im Dezember zum Vorsitzenden des IGR gewählt worden. Die Erweiterung der EU um zehn Mitgliedsstaaten sei ein historischer Augenblick gewesen. "Allerdings wird die Einheit Europas von vielen Menschen nach wie vor als Bedrohung wahrgenommen." Hoffmann machte dafür auch Unternehmer verantwortlich, die "fast täglich damit drohen, ihre Produktion nach Osteuropa zu verlagern". Der Anpassungsprozess eine Frage von Jahrzehnten. "Dieser Prozess, der nicht zum Nulltarif zu haben ist, wird auch zu einer neuen Arbeitsteilung in Europa führen." Ansätze gebe es bereits. Die bisherigen Gewinner der EU-Erweiterung, so betonte Hoffmann, seien die alten Mitgliedsstaaten. "Das wird deutlich, wenn man sich die erheblichen Exportüberschüsse der letzten Jahre ansieht."

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