"Jeder in Hinzert muss damals vom Lager gewusst haben"

Hinzert · 100 Besucher der Gedenkstätte SS- Sonderlager KZ Hinzert haben sich über die dunkle Vergangenheit in der unmittelbaren Heimat informiert. Anlass ist die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Soldaten am 27. Januar. Seit 1996 wird an diesem Tag der Opfer der Nationalsozialisten gedacht.

 Gedenkstätten-Mitarbeiter Georg Mertes kann mit Fotos beweisen, dass das Lager damals nicht zu übersehen war.“ TV- Foto: Herbert Thormeyer

Gedenkstätten-Mitarbeiter Georg Mertes kann mit Fotos beweisen, dass das Lager damals nicht zu übersehen war.“ TV- Foto: Herbert Thormeyer

Hinzert. Das Grauen ist in der Gedenkstätte SS-Sonderlager KZ Hinzert bis heute präsent. Die Menschen sprechen leise, wenn sie die Zeugnisse der Nazi- Vergangenheit so hautnah erleben. Rund 100 Besucher sind auf Einladung des Fördervereins Gedenkstätte KZ Hinzert gekommen, um allen Opfern der Nazis, nicht nur der Juden, sondern auch der Sinti und Roma, Homosexuellen und Zwangsarbeiter, zu gedenken.
"Diesen Gedenktag, den 27. Januar, an dem sowjetische Soldaten 1945 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreiten, hat 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog eingeführt", erinnerte der Fördervereinsvorsitzende Dieter Burgard.
Er begrüßte besonders das Mitglied Dr. Josef Peter Mertes, ehemaliger Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier, der in seiner Rede an die Grauen erinnerte und zur Wachsamkeit mahnte: "Gedenken heißt, sich zu erinnern und im eigenen Inneren ein Mahnmal zu errichten." Die Mahnungen können nicht oft genug wiederholt werden, wie die jüngsten Morde von Neonazis beweisen. "180 Menschen sind in Deutschland in den letzten zehn Jahren rechter Gewalt zum Opfer gefallen", klagte Mertes an. Hass und Intoleranz gelte es entschieden entgegenzutreten, dieses Versprechen sei jeder Deutsche den Opfern schuldig. Mertes sprach sich eindeutig für ein Verbot der NPD aus: "Die bekommen sogar noch Steuergeld von uns allen."
Vor der Rede gab es eine Führung durch die Gedenkstätte. Deren Mitarbeiter, Georg Mertes, der Sohn des Hauptredners, hatte Fotos des ehemaligen SS-Sonderlagers mitgebracht. Eines davon zeigt eine Straße, die mitten durch den Ort des Schreckens führt. Es ist die Hauptzufahrtsstraße zum Dorf Hinzert. Das Lager war sogar ausgeschildert. "Es war der Bevölkerung schlicht unmöglich, nicht zu wissen, was hier vor sich ging", stellte Mertes fest.
321 Opfer der Nazis in Hinzert sind bekannt. Schätzungen der ehemaligen französischen Militärverwaltung gehen aber von bis zu 1000 toten Insassen aus. Spuren sogenannter "NN-ler" sind nur schwer nachzuverfolgen. "NN" steht für "Nacht und Nebel" und bezeichnet Verschleppte, die einfach aus ihren Wohnungen geholt wurden, darunter sogar Jugendliche.
Die gesamte Region nutzte das "Reservoir" an Zwangsarbeitern, in drei Steinbrüchen, im Wald, in der Sägeindustrie und auf Bauernhöfen. Mertes stellte fest: "Auf allen drei Seiten, bei den Gefangenen, den Aufsehern und der Bevölkerung, gab es humane und grausame Menschen." Das KZ Hinzert wurde im März 1945 befreit. doth
Extra

Ein Barackenlager der Deutschen Arbeitsfront, das 1938 für Arbeiter des Westwalls errichtet worden war, wurde am 16. Oktober 1939 als Polizeihaft- und Erziehungslager eingerichtet. Es war zur "disziplinarischen Behandlung" und zu "dreiwöchiger Umerziehung" von sogenannten "Arbeitsscheuen" bestimmt, die zur Arbeit am Westwall oder an den Reichsautobahnen zwangsverpflichtetet wurden. Ein Teil des Lagers trug die Bezeichnung "SS- Sonderlager Hinzert". Dort wurden Arbeiter eingewiesen, die als "Rückfällige, notorische Faulenzer oder Gewohnheitstrinker" länger inhaftiert wurden.doth

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