Jugendliche proben den Ernstfall

Trier/Saarburg · Wie können Schüler helfen, wenn sie mitbekommen, wie andere auf dem Schulweg drangsaliert werden? Entsprechende Techniken haben Saarburger Schüler in einem dreitägigen Lehrgang erfahren: erst in der Theorie, dann in der Praxis.

Trier/Saarburg. Ein Nahverkehrszug am frühen Mittag: Zwei junge Männer kommen ins halbvolle Abteil. Sie setzen sich zu einer jungen Frau, die allein in einer Vierer-Sitzgruppe ist, und fangen an, sie zu belästigen: "Na Süße, heute schon was vor?" Eine Gruppe von Schülern bemerkt die immer gröber werdenden Zudringlichkeiten.
Nach kurzer Absprache stehen sie auf und stellen sich gemeinsam vor die Männer. Ein Schüler fordert laut und deutlich: "Lassen Sie sofort die Frau in Ruhe!" Die Angesprochenen setzen zwar eine coole Miene auf - aber sich plötzlich mehreren Gegnern gegenüber zu sehen, beeindruckt sie doch sichtlich. Schließlich greift einer der Schüler das Mädchen am Arm und zieht es von den Männern weg.
"Das habt ihr ideal gelöst", lobt der Polizeibeamte Ralf Weiler, der dem Geschehen vorher seelenruhig zugeschaut hat - weil es nur eine Übung war: Der Zug steht auf einem Abstellgleis im Trierer Hauptbahnhof, und die Übeltäter sind Bundespolizisten, die Achtklässlern der Saarburger Realschule plus zeigen, wie man bei Übergriffen im öffentlichen Nahverkehr helfen kann.
Theorie und Rollenspiele


Für das Projekt "Schülerbegleiter" hat die Bundespolizeiinspektion Trier die Saarburger Realschule plus als Partner gewonnen. Die hat dazu in Absprache mit den Eltern geeignete Schüler ausgewählt.
"Denen haben wir an zwei Tagen erklärt, wie sie kritische Situationen einschätzen können: Wie sieht ein Konflikt aus, welche Phasen durchläuft er", erklärt Ralf Weiler, der überzeugt ist, dass Gewalt zunehmend den Schülerverkehr präge: "Der Umgang miteinander ist rauer geworden, während die Zivilcourage abgenommen hat. Das äußert sich dann in Vandalismus und Konflikten während der Fahrt." In dem Lehrgang, der mit dem praktischen Rollenspiel abschließt, sollen die Schüler lernen, an welchen Stellen eingeschritten werden kann - und wann man es besser bleiben lässt.
Als erste und wichtigste Regel schärft er den Jugendlichen ein, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Nur wenn die Situation es erlaube, solle direkt geholfen werden. Opfer und Helfer sollten für Aufmerksamkeit sorgen, indem andere gezielt angesprochen und zur Mithilfe animiert werden. "Wer sich entscheidet, nicht direkt einzugreifen, kann der Polizei später wertvolle Hinweise liefern, indem er genau beobachtet und sich etwa Details zum Täter merkt und sich als Zeuge zur Verfügung stellt." Zudem solle man dem Opfer auf jeden Fall nach der Tat beistehen.
Die Saarburger Schulsozialarbeiterin Ulrike Schena-Heinrich hat berufsmäßig mit Kindern zu tun, die auf dem Schulweg Gewalt erleben: "Da passiert auf dem Bahnhof schon so einiges, aber auch in Zügen und Bussen fühlen sich Schüler bedroht." Schena-Heinrich will nicht sagen, dass die Gewalt zunimmt: "Schubsen, Schlagen, Ärgern, das gab es immer schon - aber es ist natürlich richtig, da trotzdem dran zu arbeiten!"
Video zum Thema unter volksfreund.de/videos
Meinung

Keine Panik!
Projekte, die das Einstehen für bedrängte Mitmenschen fördern, sind natürlich prinzipiell zu begrüßen. Dabei ist zu hoffen, dass die geschulten Jugendlichen die Mahnung des Polizisten beherzigen und sich bei einem möglichen Eingreifen nicht selbst gefährden. Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass entsprechendes Handeln selten hundertprozentig risikofrei verläuft - darum heißt es ja auch Zivilcourage. Letztlich stehen die Chancen aber gut, dass die jungen Leute gar nicht so viel zu tun bekommen: Denn auch wenn einem bei dem Thema schnell die Schreckensnachrichten etwa von brutalen U-Bahn-Schlägern wieder in den Sinn kommen, so sind das doch ex-treme Einzelfälle. Statistisch lässt sich kaum belegen, dass die Gewalt unter Schülern zunimmt, manche Untersuchung gibt im Gegenteil sogar Grund zu leisem Optimismus. Wie klagte schon vor 4000 Jahren ein unbekannter Autor: "Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Das Ende der Welt ist nahe." Dabei sind wir die, vor denen unsere Eltern uns immer gewarnt haben. f.goebel@volksfreund.deExtra

"Ich hatte zum Glück noch keine Erfahrungen mit Gewalt, aber ich finde es trotzdem gut, dass wir das hier machen. Wenn mal etwas ist, fühle ich mich bestimmt sicherer, weil ich weiß, wie man sich wehren oder helfen kann." "Ich kenne jemanden, der öfter gemobbt wird. Ich gehe dann mit meiner Freundin oft dazwischen, damit der Täter damit aufhört. Der macht das einfach in aller Öffentlichkeit! Andere Schüler sehen das als Spaß, auch weil das Opfer nicht immer zeigt, wie sehr es unter den Angriffen leidet." "In meiner Grundschulzeit wurde ich im Bus öfter von älteren Schülern geärgert. Andere Kinder, die das mitbekommen haben, haben das einfach ignoriert - nur selten haben sich mal Ältere eingemischt. Zum Glück hat das aufgehört, als ich auf die nächste Schule gekommen bin." "Ich bin mal mit einer ziemlich leeren Bahn gefahren - da kamen angetrunkene ältere Jugendliche rein, die sich dann zu mir gesetzt haben. Da wurde es mir so mulmig, dass ich extra ausgestiegen bin - zum Glück kam ein paar Minuten später der nächste Zug."fgg

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