Gesundheit Kein Geld für Gesundheitshelm: Eltern hoffen auf Umdenken

Geisfeld/Saarburg/Konz · Zwei Familien, dasselbe Problem: Nach dem Fall Finn aus Damflos meldet sich beim Volksfreund erneut ein Paar, dessen Sohn einen Helm zur Korrektur seines schiefen Köpfchens benötigt. Auch bei ihm zahlen Helfer, nicht die Krankenkasse. Der TV hat nachgefragt.

 Manuela und Daniel Clemens aus Geisfeld sind froh, dass ein Gesundheitshelm den Kopf ihres Sohnes Leon in die richtige Form bringt.

Manuela und Daniel Clemens aus Geisfeld sind froh, dass ein Gesundheitshelm den Kopf ihres Sohnes Leon in die richtige Form bringt.

Foto: Trierischer Volksfreund/Christa Weber

Der Kopf des kleinen Leon Clemens aus Geisfeld ist stark verformt. Das hat dem acht Monate alten Jungen einige Schmerzen bereitet. Doch seit kurzem hilft ihm ein Helm aus Kunststoff, genannt Kopforthese. Leon trägt sie fast rund um die Uhr. „Es geht ihm jetzt deutlich besser. Er ist aufgeweckter“, sagt Mutter Manuela Clemens. Der Helm soll Leons Köpfchen durch sanften Druck wieder in die richtige Form bringen. Die Behandlung kostet rund 1500 Euro. Die Krankenkasse kommt dafür nicht auf. Aber engagierte Helfer aus Trier haben die Summe gespendet.

Ähnlicher Fall Aufmerksamen Lesern dürfte die Geschichte bekannt vorkommen. Im September hat der Volksfreund über die Familie Sand aus Damflos berichtet. Bei deren Sohn Finn hatte ein Arzt ebenfalls wegen einer Schädelasymmetrie einen Helm verordnet. Und wie bei Leon zahlte die Krankenkasse nicht. Die Begründung in beiden Fällen: Die Helmtherapie stehe nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, deren Nutzen der Gemeinsame Bundesausschuss noch nicht geprüft habe. Die Familie Sand klagte erfolglos vor Gericht, fand aber Hilfe bei der Trierer Benefizgruppe Stups, die durch einen früheren Artikel von Finn erfahren hatte.

Kritik der Eltern und Helfer Auch die Familie Clemens las die TV-Berichte und kontaktierte Stups. Die ehrenamtliche Gruppe um Marina van Asch, die unbürokratisch Hilfe für kranke Kinder organisiert, hat mit dem Erlös aus einem Straßenfest Leons Helm finanziert. Sie finde es „unmöglich“, sagt van Asch, dass die Krankenkassen offenbar „lieber Unsummen für Folgekosten“ ausgäben als einmalig 1500 Euro für eine Therapie. Damit spielt sie auf lebenslange Kopfschmerzen, Rücken- und Kieferprobleme an, die laut ärztlicher Diagnose bei beiden Jungen eine Folge ihrer schiefen Schädelbasis gewesen wären. Ihre Gruppe, sagt van Asch, unterstütze Betroffene gern: „Aber das löst das Grundproblem nicht.“ Dazu müsse mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt werden.

Mehr Aufklärung und vielleicht ein Umdenken der Verantwortlichen – darauf hoffen Manuela und Daniel Clemens. Sie haben bei ihrer Krankenkasse Widerspruch eingelegt, warten aber seit Wochen auf Antwort. Beide sagen, sie seien sehr verunsichert gewesen, als ihr Sohn nachts ohne erkennbaren Grund schrie. Der Kinderarzt habe eine Lagerungstherapie empfohlen, die aber nichts gebracht habe. Dabei sollen Kissen verhindern, dass der Säugling sich im Bett in eine bestimmte Position dreht. „Leon war dafür viel zu agil“, sagt Manuela Clemens. Und sein Gesicht sei „immer schiefer“ geworden (siehe kleines Foto). Nach vielen Arztbesuchen, Krankengymnastik und Besuchen beim Osteopathen habe man ihnen erst in der Klinik in Wittlich gesagt, dass nur ein Helm ihrem Sohn noch helfen könne.

Die Spende aus Trier, sagt Daniel Clemens, sei eine große Erleichterung. Viele junge Eltern verfügten nur über ein Gehalt. Außerdem passten Kindersitz und Trageschale wegen des Helms nicht mehr. Leons Krankenkasse habe noch bis vor kurzem Kopforthesen als freiwillige Leistung bezahlt. Wegen eines Urteils des Bundessozialsgerichts, sagte man ihnen am Telefon, sei dies nicht mehr möglich. Das Gericht hatte im Mai 2017 bestätigt, dass die Kassen zur Kostenübernahme nicht verpflichtet sind. Clemens kritisiert: „Es werden so viele Dinge bezahlt, die keiner braucht. Aber bei einem Säugling, der noch 70 Jahre vor sich hat, geht es nicht.“ Seiner Meinung nach müssten genug Befunde über erfolgreiche Helmtherapien vorliegen. Bei Leon habe er schnell Verbesserungen erkannt. Bei Finn Sand hat der Helm in sechs Monaten alle Verformungen korrigiert.

 Diese 3-D-Aufnahme des Kopfes von Leon Clemens zeigt deutlich die schiefe Schädelbasis des Säuglings, die der Helm korrigieren soll.

Diese 3-D-Aufnahme des Kopfes von Leon Clemens zeigt deutlich die schiefe Schädelbasis des Säuglings, die der Helm korrigieren soll.

Foto: TV/Lambrecht, Jana

Reaktion des Kassenverbands Der TV hat beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen nachgefragt, was denn nötig sei, um die Helmtherapie in den Leistungskatalog aufzunehmen. Eine Sprecherin sagt, dazu müsse der dafür zuständige Bundesausschuss (G-BA) den „diagnostischen und therapeutischen Nutzen“ der Behandlungsmethode prüfen und eine positive Empfehlung dazu abgeben. Ein solches Prüfverfahren sei bislang nicht beantragt worden. Einen Antrag stellen könnten Träger des G-BA wie die Kassenärztliche Vereinigung, aber auch Patientenschützer.

Um den medizinischen Nutzen nachzuweisen, brauche es aber wissenschaftliche Studien. Die Sprecherin verweist auf ein Grundsatzgutachten von 2010. Darin stellten Experten von der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung fest, dass bislang „wissenschaftlich gesicherte Belege“ dazu fehlten, ob die Schädelasymmetrie tatsächlich im späteren Leben zu „strukturellen oder funktionellen Schädigungen“ führe. Auch sei fraglich, ob die Helmtherapie im jeweiligen Fall „wirklich die einzige Möglichkeit ist“ oder nicht auch herkömmliche Methoden wie Lagerungs- und Physiotherapie helfen würden. Allerdings können die Kassen laut Verband selbst entscheiden, ob sie Kosten als freiwillige Leistung übernehmen. Dabei werde jeder Fall individuell geprüft. Nach TV-Recherchen verfahren so derzeit etwa die AOK Niedersachsen und die BKK exklusiv.

Einschätzung eines Mediziners Dr. Merten Kriewitz ist Oberarzt am Verbundkrankenhaus Bernkastel/Wittlich und spezialisiert auf Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Im vergangenen Jahr, sagt er, seien 150 Eltern mit der Frage zu ihm gekommen, ob ihr Säugling eine Kopf­orthese benötige. In 50 Fällen habe er die Therapie tatsächlich verordnet. „Krankengymnastik und Lagern helfen nur in den ersten fünf Monaten“, sagt der Mediziner. Danach sei die Verknöcherung so weit fortgeschritten, dass nur ein Helm das Schädelwachstum korrigieren könne. „Die Eltern kommen aber oft erst später, wenn sich der schiefe Kopf des Kindes von allein nicht mehr bessert.“

Im St.-Elisabeth-Krankenhaus Wittlich zeige man den Eltern daher schon nach der Geburt, „wie sie ihr Kind aus der Bauchlage hochnehmen und halten, damit es nicht zu Wirbelblockaden kommt“. Diese Blockaden seien die häufigste Ursache für bevorzugte Kopfhaltungen. Die Kinder sollten zwar in Rücklage schlafen, aber tagsüber auch regelmäßig auf den Bauch gelegt werden, um Verformungen des Schädels vorzubeugen. Auch in der Ausbildung der Kinderärzte müsse das Thema der Funktionsstörungen der Wirbelsäule besser verankert werden, findet Kriewitz. Zum Nutzen der Helmtherapie gebe es schon „sehr viel internationale wissenschaftliche Literatur“. Nur habe diese bislang noch niemand so zusammengestellt, dass ein Antrag für eine Aufnahme der Therapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen gestellt werden könnte. „Es braucht wohl alles seine Zeit. Aber zumindest ist das Thema inzwischen schon deutlich präsenter.“

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