Mitten ins Herz

SCHWEICH. (ae) Zwischen Dur und Moll, Tragik und Komik: Das Chansonprogramm "Lieder eines armen Mädchens", interpretiert von Barbara Ullmann und ihrem Ehemann und musikalischen Begleiter Joachim Mayer Ullmann in der Synagoge Schweich.

 Tragisch und komisch verkörperte Barbara Ullmann ein "armes Mädchen" in der Synagoge Schweich.Foto: Anke Emmerling

Tragisch und komisch verkörperte Barbara Ullmann ein "armes Mädchen" in der Synagoge Schweich.Foto: Anke Emmerling

Mit dem Chansonprogramm "Lieder eines armen Mädchens" von Friedrich Hollaender bescherte Barbara Ullmann ihren Gästen in der Synagoge Schweich einen bewegenden Abend. Das Konzert war Auftakt der dem 20. Jahrhundert gewidmeten Kultur-Veranstaltungsreihe der Volkshochschule Schweich. Seit Anfang der neunziger Jahre gehören Soloauftritte der Trierer Schauspielerin Barbara Ullmann zu den Terminen im Kulturprogramm der Volkshochschule Schweich, die für ungewöhnliche bis überraschende Inhalte, präsentiert auf künstlerisch hohem Niveau, stehen. So auch diesmal, bei den "Liedern eines armen Mädchens" von Friedrich Hollaender. Die Texte der Chansons, die in den 1920er Jahren entstanden und im damaligen Berliner Hinterhofmilieu angesiedelt sind, hatte Barbara Ullmann vor einigen Jahren bei Bibliotheksrecherchen entdeckt, allerdings fehlten die begleitenden Noten. Beseelt vom Wunsch, die bewegenden Lieder einmal selbst zu interpretieren, forschte sie unentwegt nach, um das Material schließlich von einem letzten lebenden Erben Hollaenders überreicht zu bekommen. Im Jahr 2000 feierte sie dann mit dieser seltenen Kostbarkeit Premiere - ebenfalls in der Synagoge Schweich. Die Erinnerung daran hatte viele Zuschauer nun ein zweites Mal angelockt. Kein Wunder, denn von Anfang an fesselte ein fast klassisch zu nennender Stoff, der seiner Interpretin auf den Leib geschneidert schien. Im sackartigen Kleid aus grauem grobem Stoff, lediglich umgeben von einer alten Zinkwanne und einem einfachen Holzstuhl, verkörperte sie ein vom Zufall ans untere Ende der Gesellschaft verbanntes Menschenkind - das "arme Mädchen". Eine Figur, die szenisch zwar im Berlin der Zwanziger angesiedelt ist, aber Betroffenheit weckt, weil es ihr Schicksal bis heute, nicht nur in ärmsten Ländern, gibt. Texte in bewusst ungelenk gehaltenem Berliner Dialekt erzählen von der Tragik des Elends zwischen Hunger, Armut, Perspektivlosigkeit, harter Arbeit und dem Tod, der in aller Ausweglosigkeit sogar die letzte Hoffnung sein kann: "Wenn ick mal tot bin, ist mein schönster Tag." Sie erzählen aber auch auf rührend unbeholfene Weise vom Glauben an eine bessere Welt, von Träumen, Wünschen, Liebe, Stolz und Ehre. "Ick bin die Prinzessin vom Hinterhof", sang Ullmann mädchenhaft, unschuldig, strahlend, um im nächsten Moment mit belegter Stimme den quälenden Gewissenskampf einer Gelegenheitsdiebin auszufechten: "Een Jroschen liegt auf meiner Ehre..." Das rührte zu Tränen, doch bevor Deprimiertheit um sich greifen konnte, wechselten die sensible und virtuose Klavierbegleitung von Joachim Mayer-Ullmann in eine Dur-Tonart und der Text in bittersüße Komik. So wurden Spannung genommen und ein befreiendes Lachen ermöglicht. Dank dieses gelungenen Balanceaktes schaffte ein eigentlich unbequemer Stoff den Sprung mitten in die Herzen der Zuschauer.

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