Neuer Mann am Telefon Wo ein Blinder einen Blinden einarbeitet

Saarburg · Willi Hein, der Mann der Telefonzentrale in der Verwaltung der Verbandsgemeinde Saarburg-Kell, ist seit Anfang Mai im Ruhestand. Seinen Nachfolger hat er eingearbeitet. Das Besondere: Beide können nicht sehen.

 Thomas Jäger (links) ist der neue Telefonmann der Saarburger Verwaltung. Er wurde von seinem Vorgänger Willi Hein eingearbeitet. Er nimmt in der Telefonzentrale die Anrufe von drei Fernsprechern entgegen und arbeitet mit einem Computer mit Braille(Blindenschrift)-Zeile und Sprachausgabe.

Thomas Jäger (links) ist der neue Telefonmann der Saarburger Verwaltung. Er wurde von seinem Vorgänger Willi Hein eingearbeitet. Er nimmt in der Telefonzentrale die Anrufe von drei Fernsprechern entgegen und arbeitet mit einem Computer mit Braille(Blindenschrift)-Zeile und Sprachausgabe.

Foto: TV/Marion Maier

Die Verbandsgemeindeverwaltung Saarburg-Kell hat eine neue Stimme: Thomas Jäger. Der 41-Jährige ist der neue Mann der Telefonzentrale und damit Herr über drei stetig klingelnde Fernsprecher: dem Zentralentelefon, dem Bürgertelefon und der Nebenstelle für interne Anrufe. Jäger hat Willi Hein abgelöst. Der 65-Jährige hat sich nach 50 Berufsjahren Ende April in die Rente verabschiedet.

Die beiden Männer haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind blind. Hein sagt: „Ich finde es ganz toll, dass die Verwaltung einen blinden Nachfolger eingestellt hat.“ Für blinde Menschen sei es unheimlich schwer, einen festen Arbeitsplatz im Kreis Trier-Saarburg zu finden. Viele Arbeitgeber hätten Angst, einen behinderten Menschen einzustellen, weil sie befürchteten, dass der öfter krank sei. „Das Gegenteil ist der Fall. Wir leben für unsere Arbeit und müssen täglich mehr Energie hochfahren als andere. Ich habe meinen Arbeitsplatz geliebt und das möchte ich an Thomas weitergeben“, sagt Hein.

Er hat seinen Nachfolger nicht nur eingearbeitet, er hat ihn auch mit ausgewählt, berichtet Hein. Für ihn war es ein großer Vertrauensbeweis, dass Bürgermeister Jürgen Dixius meinte, der Bewerber, den er für den besten halte, werde auch genommen, denn schließlich könne er die Sache am besten beurteilen. Bereits am zweiten Tag des Probepraktikums dachte Hein eigenen Angaben zufolge, dass Thomas Jäger der richtige für den hektischen, stressbelasteten Job mit 160 bis 220 Anrufen am Tag sei. Hein: „Das kam durch seinen freundlichen Umgangston und seine Klarheit.“ Und noch etwas habe Thomas Jäger ausgezeichnet: sein gutes Gedächtnis. Das arbeite bei Blinden intensiver, sagt Hein.

Bei diesen Worten lächelt Thomas Jäger. Der 41-Jährige hat für seinen neuen Job auch eine entsprechende Lehre absolviert: Er ist Telefonist. Jäger: „In der Ausbildung habe ich gelernt, wie man sich am Telefon in verschiedenen Situationen verhalten muss. Also wie ich zum Beispiel jemanden, der wütend ist, wieder runterhole. Oder wie ich generell eine Verbindung zum Anrufer aufbaue.“  Am ersten Tag in der Telefonzentrale der Verwaltung war Jäger dennoch überrascht über die Zahl der Anrufe. Immerhin sind es die Anrufer aus ehemals zwei Verbandsgemeinden und zwei Telefonzentralen, die dort zusammenkommen. „Aber man gewöhnt sich dran“, sagt der 41-Jährige und ergänzt: „Es macht auch Spaß. Ich bin immer wieder froh, wenn ich den Leuten weiterhelfen kann.“

Dabei sind die Fußstapfen, die Willi Hein hinterlässt, nicht ohne. Hein sagt: „Aussagen wie ,Ich bin nicht zuständig’ oder ,Das kann ich nicht sagen’ gibt es hier nicht. Wir sind die erste Verwaltungsstelle für die Bürger in der Verbandsgemeinde. Sie haben das Recht zu sagen, ,ich habe ein Problem’. Viele sind mit dem Verwaltungsdschungel überfordert. Wenn ich dann etwas nicht genau weiß, sage ich: Wir rufen zurück.“ Ist das überhaupt immer zu schaffen. Voll Überzeugung sagt Thomas Jäger: „Das muss gewährleistet sein.“

Im Gegensatz zu Willi Hein, der als Verwaltungsangestellter seine zuvor bereits eingeschränkte Sehkraft verlor, war Thomas Jäger schon fast immer blind. Jäger: „Seit meinem zweiten Lebensjahr kann ich nicht sehen. Ein Hirntumor hatte meinen zentralen Sehnerv befallen. Für mich ist es, als wäre ich blind geboren. Meine erste Erinnerung ist, dass ich gegen die Türpfosten gerannt bin, als ich nach der Tumoroperation wieder nach Hause kam.“ An dieser Stelle wirft Hein „Das merkt man heute noch!“ ein. „Das musste kommen“, antwortet Jäger. Beide lachen. Der Jüngere fährt fort: „Ich komme mit meiner Blindheit gut zurecht.“

Thomas Jäger stammt aus Kordel, wo er einen Regelkindergarten besucht hat, in dem man „toll auf ihn eingegangen ist“, wie er sagt. Mit sieben kam er in Neuwied ins Internat und ging dort auf die Blindenschule. Die Telefonisten-Ausbildung absolvierte er in Stuttgart, dann kam er zurück nach Kordel. Es folgten mehrere befristete Jobs. Nach Saarburg kommt er nun täglich mit dem Zug. Dort holt ihn ein Bekannter mit dem Auto ab und bringt ihn am späten Nachmittag wieder zum Bahnhof.

Auf die Frage nach seinem Traumjob antwortet Jäger: „Früher war mein Traum, etwas mit Fliegen zu machen. Aber das geht nicht als Blinder.“ Dennoch wurde er fündig. Drei Praktika hat er in der Schulzeit absolviert, eins davon in einer Telefonzentrale der Telekom. „Da habe ich gemerkt: Das ist es!“ Will der neue Telefonmann der Verwaltung nun mal entspannen, macht er das – wie sein Vorgänger – bei Musik. Die beiden spielen sogar die gleichen Instrumente: Keyboard, Klavier und Akkordeon, nur mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Während Hein als Rentner nun im Einzelunterricht so richtig Klavier spielen lernt, ist Jäger Teil der Band Spätschicht. „Andere Bands haben gesagt, es sei ihnen zu riskant mit einem Blinden. Der könnte von der Bühne fallen“, berichtet Thomas Jäger ganz ohne Vorwürfe. Spätschicht war da offener.

 So stand Willi Hein beim Einarbeiten immer hinter Thomas Jäger, um ihm Sachen zu zeigen. Der Mitarbeiter der Telefonzentrale nimmt die Anrufe von drei Geräten entgegen und arbeitet mit einem Computer mit Braille (Blindenschrift)-Zeile und Sprachausgabe.

So stand Willi Hein beim Einarbeiten immer hinter Thomas Jäger, um ihm Sachen zu zeigen. Der Mitarbeiter der Telefonzentrale nimmt die Anrufe von drei Geräten entgegen und arbeitet mit einem Computer mit Braille (Blindenschrift)-Zeile und Sprachausgabe.

Foto: TV/Marion Maier

Ansonsten bleiben die beiden Musikliebhaber weiter in Kontakt. Denn Willi Hein hat sich entschlossen, seinen Nachfolger als Minijobler in Urlaubszeiten zu vertreten.  Auch für Fragen im weiten Feld der Verwaltung steht er so weiterhin zur Verfügung. Ein softer Abschied – für ihn und auch die Anrufer.

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