Nikolaus auf Abwegen

THOMM. Am 5. Dezember zieht der Nikolaus in Thomm von Haus zu Haus. Er besucht nicht nur Kinder, sondern auch Frauen, die aufopferungsvoll die Eltern pflegen. Auch der Ortsbürgermeister bekommt ein kleines Dankeschön.

Ruten verteilt der Nikolaus nicht. Er hält auch keine Moralpredigten und lässt sich nicht zum Erziehungshelfer machen. Im Bischofsgewand, mit dem goldenen Buch und dem Stab in der Hand, besucht er seit 15 Jahren am Nikolausabend nicht nur Häuser in denen Kinderaugen leuchten. Hannelore Weber, Vorsitzende des Heimat- und Verkehrvereins, hat den alten Brauch, der jahrelang auf Eis lag, belebt. "Es ist eine besondere Atmosphäre, wenn der Nikolaus in den Häusern vorbeischaut", sagt Weber. In ihrem Arbeitskollegen Wilhelm Wolf hat sie den richtigen Mann gefunden, der einmal im Jahr in die Rolle des Bischofs von Myra schlüpft. Er spielt gerne den Heiligen, "die Stimmung in den Häusern ist meist knisternd, wenn ich zur Tür hereinkomme". In stressige Situationen gerät der Mann mit dem langen weißen Bart nur, wenn Kinder sehr wortkarg sind. Wenn die Kommunikation zu sehr stockt, kommt der heilige Mann schon mal ins Schwitzen. Hannelore Weber begleitet den Nikolaus, sie zeigt ihm den Weg zu denjenigen, die seinen Besuch erwarten, oder zu denjenigen, die überrascht werden sollen. Denn etwas unterscheidet die Brauchtumspflege in Thomm von der in anderen Gemeinden: Der Nikolaus besucht nicht nur die Kinder, sondern gerät gewollt auf "Abwege". Dort ist der Nikolaus auch zu Gast in Häusern, in denen Erwachsene leben, denen für besondere Leistungen gedankt werden soll. "Da ist das Ehepaar, das unter Hintenanstellung persönlicher Bedürfnisse über viele Jahre die schwerstpflegebedürftigen Eltern zu Hause betreut und ihnen so den Weg in ein anonymes Pflegeheim erspart", sagt Hannelore Weber. Oder ein herausragendes ehrenamtliches Engagement für einen Verein oder die Gemeinde wird gewürdigt. Auch bei Ortsbürgermeister Ottmar Brittner schaut der Nikolaus vorbei. "Über Ortsbürgermeister wird immer viel geschimpft, und es wird ganz vergessen, was sie das ganze Jahr über für die Gemeinde leisten", sagt Weber. Der Nikolaus sieht es, und honoriert es mit einem Besuch, einem Dankeschön und einem Stück Lebkuchen. Bei einer 87-Jährigen, die alleine lebt, wird der gute Mann in diesem Jahr unangemeldet hereinschneien, und "Zugezogenen" wird er einen Besuch im neuen Eigenheim abstatten. Er wird fragen, wie sie sich eingelebt haben, und ihnen mit der Stippvisite einen unvergesslichen Moment bescheren.

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