Kommunalpolitik Obersehr soll eigene Gemeinde werden

Lampaden · Überraschungsbeschluss im Lampadener Gemeinderat: Eine Mehrheit des Gremiums hat dafür gestimmt, den Ortsteil mit etwa 75 Einwohnern auszugliedern. Die Behörden müssen jetzt prüfen, ob das überhaupt umsetzbar ist.

 Obersehr mit unter 100 Einwohnern ist einer von vier Ortsteilen der Ortsgemeinde Lampaden. Der Gemeinderat hat jetzt einem Antrag zugestimmt, Obersehr mit Frist zum Jahresende 2018 auszugliedern und daraus eine eigene Gemeinde zu bilden.

Obersehr mit unter 100 Einwohnern ist einer von vier Ortsteilen der Ortsgemeinde Lampaden. Der Gemeinderat hat jetzt einem Antrag zugestimmt, Obersehr mit Frist zum Jahresende 2018 auszugliedern und daraus eine eigene Gemeinde zu bilden.

Foto: Trierischer Volksfreund/Christa Weber

Es ist eine lange Liste, die Ratsmitglied Franz Georg Laaß in der Sitzung des Lampadener Gemeinderats vorliest. Unterteilt in zwölf Punkte stellt der Vorsitzende der Bürgerliste Lampaden (BGL) die Argumente vor, die aus Sicht seiner Fraktion für eine Ausgliederung des Ortsteils Obersehr aus der Ortsgemeinde sprechen. Die Gebietsänderung soll auf Antrag der BGL noch vor Jahresende erfolgen.

Der Antrag Ihr Antrag beziehe sich auf den Paragrafen zehn der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung, erläutert Laaß. Darin steht, dass „aus Gründen des Gemeinwohls Gebietsteile aus einer oder mehreren Gemeinden ausgegliedert und aus ihnen eine neue Gemeinde gebildet werden“ könne. Lampaden und Obersehr seien laut Gesetz „eigenständige und räumlich getrennte Abrechnungseinheiten“, trägt Laaß vor. Die Steuereinnahmen der Obersehrer würden „seit jeher“ für Investitionen im Ortsteil Lampaden verwendet, für Obersehr sei aber in den vergangenen 40 Jahren keine Investition erkennbar. Eine Gemeinde solle „dem Gemeinwohl dienen“. Dieses habe sich jedoch „maßgeblich auf den Ortsteil Lampaden bezogen“.

Wegen seiner eigenen Anbindung ans Verkehrsnetz, der eigenen Kläranlage und fehlender gemeinsamer Einrichtungen wie Schule oder Kindergarten bestehe keine „Abhängigkeit“ vom Hauptortsteil Lampaden, erklärt Laaß. Die „Vernachlässigung“ von Obersehr zeige sich etwa daran, dass der Ortsteil nicht an das Glasfaserkabel für schnelles Internet angebunden worden sei. Löcher in den Straßen seien von früheren Gemeinderäten 20 Jahre lang unbeachtet geblieben. Im Konflikt um den Ausbau der Kreisstraße in Obersehr – die Mehrheit der Bewohner lehnt einen Bürgersteig ab, der Kreis besteht aus Sicherheitsgründen darauf – gebe es keine Garantie für eine „vernünftige Lösung“, auch wenn der Ausbau auf 2021 verschoben sei. Die Diskussionen seien von „Intoleranz und gezielter Desinformation zulasten des Gemeinwohls“ geprägt.

Für die Zeit nach der Kommunalwahl 2019 bestehe die Befürchtung, dass der neue Gemeinderat weiter Schulden anhäufen wolle. CDU und GfL (Gemeinsam für Lampaden) hätten schon mehrmals angedeutet, dass so etwas für sie kein Problem sei. Aus Sicht der Obersehrer mangele es daher an einer „Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit“ der Ortsteile. Die „absolute Mehrheit der möglichen Wähler“ aus Obersehr sei für die Bildung einer eigenen Gemeinde. Dazu trügen letztlich auch „emotionale und verbale Maßnahmen“ von Bürgern aus Lampaden bei, die „dem Gemeinwohl mehr schaden als nutzen“.

Die Diskussion Widerspruch kommt von Björn Schwarz und Andreas Herbster. Beide sitzen erst seit September 2017 im Rat. Sie waren nachgerückt, nachdem die früheren Ratsfraktionen CDU und GfL geschlossen ihre Mandate zurückgeben hatten. Schwarz mahnt: „Ich sehe das als den falschen Weg.“ Die Vergangenheit interessiere ihn nicht, es gehe darum, für die Zukunft Lösungen zu finden. Herbster sagt, es gebe, sicherlich Punkte, die man klären müsse. Die Trennung einer „lang gewachsenen Partnerschaft“ sei für ihn aber „das falsche Signal“. Die Konflikte würden stark „von Einzelpersonen und Gruppierungen getragen“. Es gelte, diese Gräben zu schließen statt neue aufzureißen.

Sebastian Backes und Doris Kuhn-Bamberg befürworten den Antrag. „Der Frust in Obersehr sitzt richtig tief“, sagt Backes. Man habe mit den Bürgern über den Antrag gesprochen. Er befürchte, „dass die Gräben in den nächsten Jahren noch tiefer werden“. Kuhn-Bamberg ergänzt: „Ich denke, dass man eher Ruhe reinbringt, wenn man sich trennt.“ Ortsbürgermeister Martin Marx äußert Verständnis dafür, dass die Obersehrer angesichts früherer Ratsbeschlüsse frustriert seien. „Ich finde es gut, dass wir darüber sachlich diskutieren.“ Der Antrag wird bei fünf Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen (Schwarz und Herbster) und einer Enthaltung (Marx) angenommen.

Erste Reaktion der Behörden Die Verbandsgemeinde-Verwaltung in Kell am See und die kommunale Aufsichtsbehörde bei der Kreisverwaltung Trier-Saarburg waren im Vorfeld nicht über den Lampadener Antrag informiert worden. „Wir müssen erst einmal abwarten, was nun als Begründung an uns herangetragen wird“, heißt es auf TV-Anfrage aus dem Kreishaus. Im Lampadener Rat war die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier als Ansprechpartner für das Verfahren genannt worden. Die Kreisverwaltung teilt mit, sie sei laut Gemeindeordnung zuständig. Man werde sich jedoch mit dem Innenministerium abstimmen, weil dieses Gemeinden mit weniger als 300 Einwohnern zwangseingliedern und somit eine Ausgliederung des etwa 75 Einwohner zählenden Ortsteils Obersehr rückgängig machen könne. Eine Verwaltungsvorschrift zur Gemeindeordnung besage zudem, dass bei der Neubildung von Ortsgemeinden eine Zahl von mindestens 1000 Einwohnern anzustreben sei. Für eine Ausgliederung müssen laut Kreisverwaltung „Gemeinwohlgründe“ vorliegen. Dabei seien „Umstände des Einzelfalls“ zu beachten. Derzeit seien solche Gründe „nicht ersichtlich“. Ob die geforderte Frist bis Ende 2018 umsetzbar sei, könne „erst nach Prüfung der Sache“ beurteilt werden.

Martin Alten, Bürgermeister der VG Kell, sagt auf TV-Anfrage, dass die laut Gemeindeordnung erforderlichen „Gemeinwohlgründe“ nicht genau definiert seien. Allerdings werde das Innenministerium per Gesetz ermächtigt, Gemeinden unter 300 Einwohnern zwangsweise zu größeren Einheiten zusammenzuschließen. „Mit diesem Antrag will man genau die gegenteilige Richtung einschlagen.“ Für ihn sei dies ein Indiz dafür, dass der Lampadener Antrag „wohl keine Aussicht auf Erfolg hat“.

Der Kommentar:

Zweifel sind hier mehr als angebracht

Von Christa Weber

Das ist schon ein Hammer, was der Lampadener Rat da beschlossen hat. Ein Ortsteil mit 75 Einwohnern soll nicht länger zur Gemeinde gehören, sondern möglichst schon Ende 2018 eigenständig sein.

Da stellen sich nun drei entscheidende Fragen: Wollen die Obersehrer das tatsächlich mehrheitlich, wie von der BGL-Fraktion erklärt wurde? Erfüllt Obersehr überhaupt die Voraussetzungen, um als eigene Gemeinde zu bestehen? Und gibt es Gründe, die diesen radikalen Schritt rechtfertigen?

Ersteres werden die Reaktionen der nächsten Tage zeigen. Die Fragen zwei und drei wird die Kreisverwaltung in Abstimmung mit Mainz klären. Mit Blick auf die vorgebrachten Argumente und den politischen Trend, eher stärkere, größere Verwaltungseinheiten zu bilden – siehe aktuelle Kommunalreform – sind Zweifel mehr als angebracht.

Vorhandene Konflikte zu lösen, indem man sich abspaltet, das soll die Lösung sein? Sicher nicht. Die Probleme offen anzusprechen, sich auszutauschen und konsequent nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen, wie von den zwei Ratsneulingen vorgeschlagen, ist sicher der verhältnismäßigere und erfolgversprechende Weg.

c.weber@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort