Opa wird's schon richten

FELL. Vom Albtraum zum Traumberuf: Albert Spieles wollte nie Schneider werden. Er musste zu Nadel und Faden greifen und hat seinen Beruf lieben gelernt. Heute sind seine Familienangehörigen seine besten Kunden.

Die alte, fußbediente Pfaff-Nähmaschine rattert. Albert Spieles näht einen Rock für seine Frau Margret. "Unsere Kleider sind fast alle selbst genäht", sagt der 79-Jährige. Kein Tag vergeht, an dem er nicht in seinem "Nähatelier" sitzt. Den Motor von der 50 Jahre alten "Pfaff" hat er abmontiert, von den modernen Maschinen hält er nicht allzu viel. "Meine kann alles. Zick-zack, Knopflöcher und Säume nähen." Dabei wollte er nie Schneider werden. Sein Herz schlug für das Schreinerhandwerk. Doch der Krieg hatte seine Spuren hinterlassen, viele Handwerksmeister waren in den Krieg gezogen. Die Folge: "Die einzige Lehrstelle, die es gab, war in Trier bei der Herren-, Damen- und Uniformschneiderei Raabe", erinnert sich der vierfache Vater. Einzig die Neugierde habe ihn Tag für Tag zu dem anfangs ungeliebten Ausbildungsplatz getrieben. "Aber letztendlich war ich angenehm überrascht. Die Atmosphäre war gut, und das Schneidern gefiel mir immer mehr." Die Reiterhosen, die meist für die Offiziere bestimmt waren, hat er leidenschaftlich gerne hergestellt. Nach der Gesellenprüfung hielt der waschechte Feller 1950 seinen Meisterbrief in Händen. Das Wohnzimmer im Eigenheim wurde kurzerhand zur Schneiderstube umfunktioniert, und das Geschäft florierte. Braut- und Kommunionsanzüge, Kostüme und Hosen nach Maß hat er hergestellt. Die Ära "Selbstständigkeit" endete nach zehn Jahren, und ab diesem Zeitpunkt arbeitete er bis zur Rente als Zuschnittsleiter in verschiedenen Trierer Kleiderfabriken. Heute sind seine Enkel seine treuesten Kunden. "Wenn meine Hose zerrissen ist, dann ist das nicht schlimm. Der Opa Albert macht alles wieder ganz", sagt Enkel Nico. Auch zerschlissenen Kirchenfahnen oder Chormänteln gibt er ein neues Gesicht. "Alles umsonst." Bekannt ist nicht nur seine Näh-, sondern auch seine Kochkunst. Er kocht für Volkswanderungen und lädt die komplette Familie zu "Krompernstippchen", eine Kartoffelspezialität, ein. Tatkräftig unterstützt er alle Feller Vereine. Seine Urkunde für 60 Jahre Mitgliedschaft im Sportverein Fell beispielsweise hat einen Ehrenplatz. Nie vergessen wird er die Zeiten, als er als Jugendleiter der Fußballer mit seinem ersten Auto die Jungen von Spiel zu Spiel kutschierte. "Sie saßen zu siebt im Auto. Das wäre heute unvorstellbar." Kaum zu glauben sei auch, dass die Maßschneiderei immer mehr und mehr abnehme. "Damit verliert sich ein Stück Individualität", sagt er, und es klingt nach 55 Jahren doch wie eine Liebeserklärung an den erst ungeliebten Schneiderberuf.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort