Tafelsilber wird zur Ramschware

Hermeskeil/Trier · Mit dem Kurs der RWE-Aktien schrumpft das Eigenkapital des Kreises Trier-Saarburg. Die Papiere sind in wenigen Monaten um die Hälfte gefallen. Doch warum hat der Kreis überhaupt Aktien? Der TV erklärt den Hintergrund.

 Fallende Kurse: RWE-Aktien haben seit Jahresbeginn mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. TV-Foto: DANIEL JOHN

Fallende Kurse: RWE-Aktien haben seit Jahresbeginn mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. TV-Foto: DANIEL JOHN

Hermeskeil/Trier. Für Aktionäre sind die Zeiten hart. Vor allem die Anteilseigner der deutschen Stromkonzerne mussten seit Jahresanfang herbe Verluste einstecken. Die RWE-Aktie stand im Januar noch bei 55 Euro - nun ist sie weit weniger als die Hälfte wert. Trotz leichter Kurserholungen in den vergangenen Tagen lag sie am Donnerstagabend bei knapp 24 Euro pro Aktie.
Für den Kreis Trier-Saarburg bedeutet diese Talfahrt, dass sein Vermögen schrumpft. Das Thema kam in der jüngsten Kreistagssitzung zum Nachtragshaushalt auf (der TV berichtete). Laut dem Zahlenwerk hat der Kreis am Jahresende noch 54,5 Millionen Euro Eigenkapital. Das sind zwölf Millionen Euro weniger als 2010. Sollte sich der RWE-Kurs nicht erholen, fehlen am Jahresende weitere drei Millionen.
Doch woran liegt das? Der Kreis besitzt 276 840 RWE-Stammaktien, die zurzeit nur 6,5 Millionen Euro wert sind. In den Haushalt wurden sie noch mit einem Kurswert von 35 Euro und einem Gesamtwert von 9,8 Millionen Euro eingerechnet.
Die schlechte Kursentwicklung verdankt RWE, nach Eon der zweitgrößte Energiekonzern Deutschlands, dem Atomausstieg der schwarz-gelben Bundesregierung. Die Energieriesen, denen lange vorgeworfen wurde, dass ihre Lobbyarbeit einen früheren Atomausstieg verhindert habe, müssen jetzt, ob sie wollen oder nicht, eine Zukunftsstrategie ohne Atomstrom entwickeln. Bisher ist das, den Börsenkursen nach zu urteilen, nicht gelungen.
Dass auch viele Kommunen an dem starken Kursverlust der vergangenen Monate zu knabbern haben (siehe Extra), ist der Politik der 20er und 30er Jahre geschuldet. Der Trierer Kreistag beschloss 1927 den Ankauf von RWE-Aktien im Zusammenhang mit dem Anschluss der Gemeinden an das Stromnetz. Das sei damals eine Beteiligung an den Investitionskosten gewesen, erklärt Thomas Müller, Sprecher der Kreisverwaltung Trier-Saarburg.
Lange Zeit galten die Aktien als Tafelsilber der Kommunen - ein Ruf, den sie zum Beispiel der Wertsteigerung von 2001 bis 2006 von 42 auf 96 Euro verdankten. Der Kreis verdiente damals 30 Millionen Euro durch den Verkauf von RWE-Papieren. So konnte er einen Beamtenpensionsfonds einrichten und die Kreisstiftung "Zukunft Trier-Saarburg" aufbauen. Vor der Finanzkrise 2008 erreichten die Papiere sogar einen Höchstwert von mehr als 100 Euro. Mit den Dividenden - das sind jährliche Ausschüttungen aus Aktien - habe der Kreis immer wieder den Haushalt stabilisiert oder neue Investitionen angeleiert, sagt Müller. Allein 2010 wurde eine Million Euro ausgeschüttet.
Angesichts des aktuellen Kurswertes denke die Verwaltung zurzeit nicht daran, die RWE-Aktien zu verkaufen, erklärt Verwaltungschef Landrat Günther Schartz auf TV-Anfrage. Damit schließt er sich den Expertenmeinungen an, die die Lage der Energiekonzerne am Aktienmarkt für denkbar ungünstig halten. Schartz hält es jedoch für möglich, den Aktienbesitz zu nutzen, sobald sich der Kurs erholt hat, um in regenerative Energien zu investieren - zum Beispiel über eine Beteiligung am geplanten Pumpspeicherkraftwerk der Stadtwerke Trier (der TV berichtete). Das müsse aber zuvor in den zuständigen Gremien diskutiert werden. Der Landkreis Bernkastel-Wittlich hat 413 201 Wertpapiere des Energiekonzerns. Davon gehört ein Teil zum Vermögen der Kreismusikschule. Ein Großteil (276 500) der Aktien ist als Sicherheit für ein 15-Millionen-Euro-Darlehen an eine Bank gebunden. Die Dividende bekommt der Kreis. Der Eifelkreis Bitburg-Prüm besitzt 528 330 Wertpapiere. Die Dividenden der Aktien fließen in die Sport und Tourismus im Eifelkreis Bitburg-Prüm GmbH. 1995 gab es im Eifelkreis die sogenannte Aktienaffäre um den damaligen Landrat Roger Graef. Er stand wegen eines Geschäfts mit RWE-Aktien in der Kritik, unter anderem wurde ihm vorgeworfen, Insiderwissen genutzt und den Aktienkauf ohne Einbindung von Kreistag und Experten vollzogen zu haben. Graef wies die Vorwürfe von sich. Im Landkreis Vulkaneifel wird die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) aus den Dividenden der Aktien finanziert. 2010 diskutierte der darüber, die Aktien im Wert von zwölf Millionen Euro für die Haushaltssanierung zu verkaufen. Eine Mehrheit stimmte dagegen. 2008 haben die StadtwerkeTrier alle 640 000 RWE-Aktion verkauft. Sie waren 1984 von der Stadt übertragen worden. Der Erlös von 41 Millionen Euro sollte auch für erneuerbare Energien genutzt werden. jka

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