Vom Aufschnitt bis zur Briefmarke

KASEL. Wenn alte Kaseler zu "Meilens" einkaufen gehen, meinen sie das Geschäft von Sabine Neumann an der Hauptstraße. Die unermüdliche Geschäftsfrau ist die Urenkelin von Anna Theis, geb. Meilen, die das Geschäft 1902 mit ihrem Mann Kaspar Theis gegründet hatte.

Dem Fremden fällt beim Durchfahren der Kaseler Ortsmitte das äußerlich unauffällige Edeka-Geschäft kaum auf. Die Fassade mit ihrer Glasfront hat nichts "Brüllendes" an sich, keine "Super-Sonder-Schnäppchen-Angebote" versuchen, zufällig vorbeikommende Passanten ins Geschäft zu locken. Doch der Eintritt ins Ladeninnere lohnt sich. Inhaberin Sabine Neumann kann ihrer Kundschaft auf verhältnismäßig kleinem Raum ein Angebot präsentieren, das manchen Supermarkt aussticht: ein Vollsortiment an Lebensmitteln und Haushaltswaren, Fleisch und Wurst von Metzgern aus der Region, Briefmarken, Karten für Mobiltelefone, Annahme für Reinigung, Heißmangel und Schuhreparaturen sowie Kopier- und Faxdienst. Dieses Spektrum entspricht der Geschäftsphilosophie von Sabine Neumann. "Ich bin bestrebt, ein breit gefächertes Sortiment bei familiärer Atmosphäre zu erhalten", sagt die 40-Jährige, während gerade ein paar Schokoriegel an der Kasse den Besitzer wechseln. Obwohl es auf die Mittagszeit zugeht, herrscht noch reges Kommen und Gehen. Heute hilft wieder ihre Schwester Nina aus, im "Hauptberuf" noch Studentin. Um die Frischwarenabteilung mit Wurst und Fleisch kümmert sich derweil halbtags eine Fachverkäuferin. "Freitags und samstags ist noch mehr los", sagt die gelernte Einzelhandelskauffrau, die das Geschäft 1999 in vierter Generation von ihren Eltern übernommen hatte. Kunden haben Vertrauen

Doch die Zeiten, als ein ländlicher Lebensmittelladen konkurrenzlos die Dorfbevölkerung versorgte, sind endgültig vorbei - dank Vollmotorisierung und den Großmärkten auf der "Grünen Wiese". Die Händlerin spürt dies besonders an dem Supermarkt bei Waldrach, der dort vor fünf Jahren öffnete. "Das hat sich für mich sehr negativ ausgewirkt", sagt sie. Trotzdem ist sie zuversichtlich, dass ihr Geschäft Bestand haben wird. Dafür spricht auch, dass ihr Angebot inzwischen über Kasel hinaus geschätzt wird. Und dann wären da noch die Stammkunden, darunter viele ältere Kaseler, aber auch Vertreter der jüngeren Generation. Sabine Neumann kennt die Älteren genau, weiß etwa, welche Kaffeefilter-Größe sie benötigen, oder ob sie noch immer Probleme mit dem Euro haben. Neumann: "Es ist schon ein gutes Gefühl, wenn ein Kunde mir so viel Vertrauen schenkt, dass ich ,Prokura‘ in seinem Portemonnaie habe." "Dem Dorf ein Stück Leben erhalten"

Ihr Arbeitseinsatz ist groß: Ware auspacken und einräumen, verkaufen, putzen, Bürotätigkeiten - fast alles stemmt sie allein. Ihr Tag beginnt im 5.30 Uhr und endet oft erst spät, ihre Freizeit ist gleich null. Doch Sabine Neumann bereut es nicht. "Ich fühle mich Kasel sehr verbunden, möchte dem Dorf ein Stück Leben erhalten und eine Grundversorgung ermöglichen", sagt die Kauffrau, während ein Schwarm Schulkinder das Geschäft betritt. Morgen: Die Künstlerin Marita Massoth in Schöndorf.

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