Vom kältesten Marathon der Welt

HERMESKEIL. Es war eine verrückte Entscheidung und eine enorme Herausforderung: Tom Ockers, 41-jähriger Journalist und Autor, lief 2001 den Sibirien-Marathon und schrieb seine Erfahrungen nieder. In Hermeskeil las er aus seinem Buch "Eis-Lauf".

"Kälte ist wie ein giftiger Nebel, der sich um ein Haus gelegt hat. Unaufhaltsam kriecht er heran. Zunächst legt er sich auf die Lauer und wartet geduldig auf eine Möglichkeit, ins Innere zu dringen. Dann sucht er nach offenen Ritzen und dringt von dort gnadenlos ein." Glücklicherweise war es im Musiksaal der Erich-Kästner-Realschule angenehm warm. Trotzdem schienen manche Zuhörer bei diesen Worten zu frösteln. Die kurze Passage aus dem Buch "Eis-Lauf" lässt die Zuhörer nur erahnen, unter welchen für den durchschnittlichen Mitteleuropäer unvorstellbaren Voraussetzungen Tom Ockers in Sibirien über spiegelglatte Eisfläche rutschte oder gegen den knöchelhohen Schnee im Laufschritt ankämpfte. Am 6. Januar 2001 starteten 148 Teilnehmer von einer 70-jährigen Seniorin bis zum Weltklasseläufer in Omsk. Nur elf von ihnen haben die volle Distanz überstanden. Einer davon war Tom Ockers.Mit viel Zynismus und Ironie

"Die sportliche Herausforderung liebte ich, das Laufen hasste ich", erklärte er seinem Publikum. Eindrucksvoll, voller Zynismus und Ironie beschreibt Tom Ockers den turbulenten Weg von der ersten Idee über die Vorbereitungen bis hin zum Zieleinlauf und die Tage nach dem überstandenen halsbrecherischen Abenteuer. Die detaillierte Beschreibung des Kältelaufs fesselte die Zuhörer der Lesung. Wegen der extremen Minustemperaturen wurde die notwendige Aufnahme von Flüssigkeit während des Laufs zum Abenteuer. Ockers: "Wie durch ein Wunder brach ein winziger Red-Bull-Eiswürfel ab und landete in meinem Rachen. Es war die Erfüllung. Niemals zuvor hatte ich etwas Köstlicheres geschmeckt. Es prickelte auf meinem ausgetrockneten Gaumen und löschte den schlimmsten Durst. Nur meine Lippen beklagten sich anschließend über stechende Schmerzen. Ich hatte mir wohl etwas Haut abgerissen." Der Autor bezeichnet sich selbst als "überlebenden Abenteurer". Er hat aus diese extremen Erfahrung Schlüsse gezogen: "Laufen ist völlig überflüssig. Es gibt keinen Grund, so etwas zu tun." Dennoch hat er vor drei Monaten seine Laufschuhe wieder geschnürt. "Und es war wieder fürchterlich." Trotzdem hat er nicht aufgegeben. "Ich wollte mir beweisen, dass ich immer in der Lage bin, meinen Widerwillen jederzeit zu brechen." Unglaublich: Ockers hat sich entschieden, noch einmal in Omsk zu starten. "Mit einem starken Willen und einem Ziel vor Augen ist alles zu schaffen", das habe er gelernt. Weitere Fragen nach dem Grund, diese Extremerfahrung zu wiederholen, beantwortet er mit einem John-Wayne-Zitat: "Ein Mann muss manchmal tun, was ein Mann tun muss."

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