Vom Mythos zum Menschen

SCHWEICH. (ae) Trotz der Konkurrenz durch eine zeitgleiche Versammlung zum Bau des Krematoriums in Issel ließen es sich viele Besucher nicht nehmen, einen in der Tradition der VHS Schweich fest verankerten Themenabend zu besuchen: Die "Musikwerkstatt" in der Synagoge, organisiert von Gertrud Emmrich und geleitet von TV-Redakteur Dieter Lintz, befasste sich mit Marlene Dietrich.

Der Reiz der "Musikwerkstatt" der VHS Schweich liegt, ähnlich der Lektüre einer spannenden Biographie, darin, sich einem Phänomen annähern zu können und sich dessen Faszination dadurch erklären zu können. Die Diva Marlene Dietrich (1901-1992) ist ohne Zweifel ein solches Phänomen, das in der Darstellung von Dieter Lintz im Rahmen eins Themenabends in der Schweicher Synagoge greifbare Konturen gewinnt. Das gelingt, weil sein Vortrag - anders als eine geschriebene Biographie - Möglichkeiten nutzt, die über Fremd-Interpretation biographischer Rahmendaten hinausgehen. Interpretation ohne Imitation

Lintz lässt die Künstlerin aus Bild- und Tondokumenten, ferner in einem gespielten Interview zusammen mit Schauspielerin und Sängerin Barbara Ullmann sprechen. Ullmann ergänzt das lebendige Bild mit ausdrucksstarken und live gesungenen Chansons der Dietrich. Am Klavier begleitet von Joachim Mayer-Ullmann, meistert Barbara Ullmann die Gratwanderung einer Interpretation ohne Imitation und transportiert damit den Geist der jeweiligen Zeit und Befindlichkeit am besten. Vor den Ohren und Augen des Publikums wird so der "Mythos Marlene" in der Schweicher Synagoge zum von Widersprüchen gezeichneten Menschen Marlene: 1901 als Tochter einer preußischen Offiziersfamilie geboren, lernt die Dietrich: "Wer Gefühle zeigt, hat schlechte Manieren." Diesen preußisch-zwanghaften Geist verinnerlichte sie in Form von äußerster Diszipliniertheit und Diskretion. Demgegenüber standen Exzentrik und Zügellosigkeit ihres Charakters, die sie in zahllosen, rasch wechselnden Liebesaffären auslebte - ohne jedoch indiskret oder kompromittierend zu sein. Kein Widerspruch war für sie, dass sie Wert auf den Bestand ihrer Ehe mit Rudolf Sieber bis zu dessen Tod legte. Zwiespälte taten sich in ihrer Selbstdefinition auf: Sie liebte das Hausfrauen-Dasein und stilisierte sich zur divenhaften Kunstfigur, bezeichnete sich als unpolitisch und machte aus ihrer Ablehnung des Hitler-Regimes keinen Hehl. Ihre Karriere wurde begründet von der Entdeckung durch den jüdischen Regisseur Josef von Sternberg. Mit der Rolle der Lola in "Der blaue Engel" gelang ihr der Durchbruch. Trotz verlockender Angebote einiger Nazigrößen kehrte sie nicht nach Deutschland zurück.Ensthaft und Konsequent

Das verbot ihr der moralische Anstand, schon allein dem Juden Sternberg gegenüber. Noch weit nach dem Krieg wurde sie in Deutschland als Verräterin bezeichnet. Ihrem Handeln jedoch lagen stets Ernsthaftigkeit und Konsequenz zugrunde. Die Musikwerkstatt endet mit einem Rosenregen: Im Film für die Diva und auf der Bühne für Dieter Lintz, Barbara Ullmann und Joachim Mayer-Ullmann. Das Programm ist erneut am 14. April um 20 Uhr im Palais Walderdorff in Trier zu sehen.

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