Tierschutz Warum so viele Tiere in Wiltingen und Saarburg landen (Video)

Saarburg/Wiltingen · Jürgen Meyer vom Wildtierzentrum arbeitet seit ein paar Wochen von morgens bis 23 Uhr. Die meisten seiner kleinen Gäste kann er in die Freiheit entlassen – aber es gibt auch traurige Zwischenfälle.

Im Wohnzimmer von Jürgen Meyer quiekt, raschelt, gluckst und klingelt es. Das Quieken übertönt alle anderen Geräusche und kommt aus der Kehle eines winzigen Rehs, das etwas unbeholfen auf seinen dünnen Beinen in einem Korb herumstakst. Einen Meter weiter schwimmen Fische durch die grüne Unterwasserwelt eines Aquariums. Auf einer Theke klingelt das Telefon, und das Geschrei aus mehr als 40 Vogelkehlen dringt vom Dachboden bis nach unten ins kühle Wohnzimmer.

Jürgen Meyer hat immer viel zu tun mit seinen Wildtieren. Aber seit ein paar Wochen arbeitet der Mann mit den blauen Augen und dem Dreitagebart jeden Tag von morgens bis 23 Uhr durch – fast ohne Pause. Manchmal schreit das kleine Reh auch schon um 4 Uhr morgens – dann ist es schon früher vorbei mit dem Schlaf. Zwischen Mai und Juli kommen viele junge Tiere zur Welt – und sind den Eingriffen des Menschen stärker ausgesetzt als ihre älteren Verwandten. Täglich rufen Spaziergänger, Jäger, Bauarbeiter und Hobbygärtner an, die junge Tiere entdecken, deren Eltern gestorben oder verschwunden sind.

Das wenige Tage alte Rehkitz lebt seit drei Tagen in Meyers Wohnzimmer. Ein Jäger hat es neben der toten Mutter gefunden – woran sie starb, ist nicht klar. So wie die anderen Tiere im Wildtierzentrum Saarburg/Wiltingen würde es alleine erst einmal nicht überleben.

 Jürgen Meyer hat kürzlich versucht, ein Rehkitz aufzupäppeln, dessen Mutter gestorben ist. Das Junge hat es leider auch nicht geschafft.

Jürgen Meyer hat kürzlich versucht, ein Rehkitz aufzupäppeln, dessen Mutter gestorben ist. Das Junge hat es leider auch nicht geschafft.

Foto: Benedikt Laubert

Jürgen Meyer sagt: „90 Prozent der Tiere, die wir pflegen, kommen wegen menschlichen Verschuldens zu uns.“ Oft würden Tiere bei Bauarbeiten vertrieben oder verletzt, im Straßenverkehr natürlich, aber auch beim Heckenschneiden um diese Zeit.

Etwa sieben von zehn Tieren kann Meyer nach einer Zeit wieder auswildern. Einige sterben aber trotz bester Versorgung.

Und manche Tiere, die von ihren ehemaligen Besitzern abgegeben werden, wären in freier Wildbahn nicht mehr überlebensfähig. Sie bleiben bis an ihr Lebensende im Wildtierzentrum. Zurzeit ziehen bei Meyer 300 Tiere pro Monat ein. Einige leben in seinem Wiltinger Haus, die meisten bringt er aber in den Saarburger Teil des Wildtierzentrums, in dem es mehr Platz und Equipment gibt.

Das Reh macht dem 54-Jährigen Sorgen – es trinkt noch immer nicht richtig aus der Flasche. Er umgreift den Leib des quiekenden Tieres vorsichtig und trägt es über die Schwelle der Terrassentür, vorbei am Käfig mit zwei alten Papageien auf ein Stück Rasen im Garten. Als sich Meyer auf den Boden kniet und dem Tier eine kleine Flasche hinhält, schnuppert es nur kurz und stakst dann scheinbar ziellos über den Rasen. Noch ist nicht sicher, ob es durchkommt.

Jürgen Meyer muss sich nicht alleine um die Tiere kümmern. Seine Frau arbeitet genauso viel im Wildtierzentrum – will aber öffentlich nicht in Erscheinung treten. Um Homepage und Papierkram kümmern sich Mitstreiter, einen großen Teil der Arbeit in der Saarburger Station übernimmt zurzeit eine Praktikantin.

Anders wäre es nicht möglich, für mehrere Hundert Tiere da zu sein. Tagsüber müssen sie alle 70 Minuten gefüttert werden. Einmal füttern dauert eine halbe Stunde. Ende vergangenen Jahres gab Meyer seinen Job als Maler und Lackierer auf, um sich ganztägig den Tieren zu widmen. Dank Spenden (siehe Infobox) kommt er damit über die Runden.

Als Jürgen Meyer zwei Morgen später in sein Wohnzimmer kommt, ist es stiller als sonst. Das Reh lebt nicht mehr; es war wohl zu schwach. Nach einer Weile gibt er sich einen Ruck – es muss weitergehen. Hunderte Vögel, Schildkröten, Eichhörnchen, Fledermäuse und Igel warten darauf, gefüttert, gepflegt und irgendwann freigelassen zu werden. Dank Meyers Einsatz schaffen es fast alle.

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