Wenn Erinnerung greifbar wird

Konz · In Konz wurde gestern in ganz besonderer Art an die Judenverfolgung und -ermordung während des Naziregimes erinnert. Steven Kohlhagen, Nachfahre eines in die USA ausgewanderten jüdischen Textilwarenhändlers aus Konz, hat sich ins Goldene Buch der Saar-Mosel-Stadt eingetragen. Bei einem Erinnerungsrundgang der Volkshochschule wurden zudem erstmals die 31 Namen der in Lagern ermordeten Konzer Juden vorgestellt.

Konz. Große Geschichte wurde gestern im Konzer Rathaus greifbar. Der einzige Nachfahre eines zu Zeiten des Nationalsozialismus ausgewanderten Konzer Juden, der zur Heimat seiner Vorfahren Kontakt hat, war zu Gast: der Amerikaner Steven Kohlhagen. Der Thriller-Autor und Wirtschaftsprofessor im Ruhestand, der mit seiner Frau und den beiden Söhnen angereist war, trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein.
Bürgermeister Karl-Heinz Frieden hatte deshalb Zeitzeugen, Politiker und Geschichtsinteressierte zum Empfang ins Rathaus eingeladen. Der Jugendchor des Konzer Gymnasiums präsentierte jüdisches Liedgut.
Auf die Frage, was er bei seinem Eintrag ins Goldene Buch gefühlt habe, sagte Kohlhagen: "Mein Problem ist: Ich weiß nicht so recht, was mein Vater und mein Großvater davon gehalten hätten." Doch für ihn sei es sehr bewegend gewesen, eine Art von Wiederanknüpfung. Seine Vorfahren seien nicht offiziell verabschiedet worden, doch er sei heute in Konz offiziell begrüßt worden. Seine freundliche Aufnahme sei auch ein Teil der deutschen Willkommenskultur.
1934, ein Jahr vor seinem Abitur, war der Vater von Steven Kohlhagen, Werner Kohlhagen, über Bremen nach New York geflüchtet. In Deutschland wollte er Medizin studieren. In den Staaten schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, kellnerte und arbeitete im Schlachthaus. Schließlich ging er zur Armee, wo er als Übersetzer arbeitete. Werners Bruder Kurt und seine Großeltern Ida und Sally Kohlhagen, die ein Textilgeschäft in der Granastraße geführt hatten, wanderten später in die USA aus. Der Rest der Familie starb in Konzentrationslagern.Respekt für Verfassung


Sein Vater, der sich Zeit seines Lebens nie über etwas beschwert habe, habe ihn gelehrt, die Kultur und die Verfassung des Landes, in dem man lebe, zu respektieren und zu akzeptieren, sagte Steven Kohlhagen. Dies betreffe die positiven wie die negativen Seiten. Der US-Bürger, der nachdenklich und zurückhaltend wirkte, verwies auf die Fehler in der amerikanischen Geschichte: den Umgang mit den Indianern und den Sklaven. Kohlhagen sagte schließlich: "Wir sind hier, um an die Juden in Konz zu erinnern. Wir sind auch hier, um die Einwanderer zu begrüßen, die hierherkommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben."
Diese Analogie hatte zuvor auch Bürgermeister Karl-Heinz Frieden gezogen. So wie die Kohlhagens zur Nazizeit alles hinter sich lassen mussten, um in Amerika bei Null anzufangen, gehe es heute den Flüchtlingen aus Syrien und anderen Krisenregionen. Der Bürgermeister der Stadt Konz sprach angesichts des Besuchs der Kohlhagens von einem denkwürdigen Tag und rief dazu auf, sich gegen das Vergessen zu stellen. Den Kontakt zu Steven Kohlhagen hatte der pensionierte Religions- und Deutschlehrer Willi Körtels hergestellt. Auf der Suche nach Material einer Trierer Lyrikerin war er auf eine ebenfalls in die USA ausgewanderte Jüdin aus Trier gestoßen, die wiederum mit den Kohlhagens bekannt war. Per E-Mail kontaktierte er Steven Kohlhagen. "Ich bin auf einen wissbegierigen und mitteilsamen Menschen gestoßen", schilderte Körtels. Er hat pünktlich zum Besuch der Kohlhagens eine Broschüre über deren jüdische Vorfahren in Konz herausgebracht und stellte beim Empfang die wichtigsten Punkte kurz vor. Noch eine Premiere gab es im Rathaus. Der Oberemmeler Winzer Max von Kunow kredenzte zum Empfang seinen ersten koscheren Wein.
60 Teilnehmer beim Rundgang


Für den Nachmittag hatte Willi Körtels zusammen mit Gerhard Klein im Rahmen des Volkshochschulprogramms zu einem Erinnerungsrundgang auf den Spuren der Juden in Konz eingeladen. 60 Teilnehmer gingen mit. Auch Steven Kohlhagen war dabei. Die 31 Konzer Juden, die in Konzentrationslagern ums Leben gekommen sind, wurden bei diesem Rundgang erstmals mit Namen genannt, in mühevoller Kleinarbeit hatte Willi Körtels diese herausgefunden.

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