Natur Wenn Hirsche nachts in Gärten naschen

Neuhütten-Muhl · Im Hochwaldort Neuhütten-Muhl streifen Wildtiere immer häufiger durchs Dorf und fressen, was sie dort an Grün finden. Die Einwohner sehen das bislang gelassen. Gemeinde und National­parkamt mussten aber an einer Stelle eingreifen.

 Diesen Hirsch hat Schmitt mit Hilfe einer Wildtierkamera in seinem Garten fotografiert. Der Waldbewohner hat sich dort an den Obstbäumen zu schaffen gemacht.

Diesen Hirsch hat Schmitt mit Hilfe einer Wildtierkamera in seinem Garten fotografiert. Der Waldbewohner hat sich dort an den Obstbäumen zu schaffen gemacht.

Foto: Bernd Schmitt

Gegen 3.15 Uhr in der Nacht hört Albert Bier Geräusche vor seinem Haus. Er schaut durchs Fenster und staunt: „Da liefen zwei große Hirsche mitten auf der Straße“, schildert der Bewohner des Neuhüttener Ortsteils Muhl, was er vor etwa vier Wochen beobachtete. Bier greift zum Handy und macht Beweisfotos: „Das glaubt ja sonst keiner.“

Dass sich Wildtiere näher an das kleine Dorf im Nationalpark Hunsrück-Hochwald heranwagen, das war schon immer so. Allerdings haben laut Schilderung der Einwohner die nächtlichen Streifzüge zugenommen, die Tiere scheinen ihre Scheu verloren zu haben. Das bestätigt Bernd Schmitt, Beigeordneter der Gemeinde, dessen Haus direkt am Ortsrand steht. Die Hirsche, sagt er, seien in diesem Jahr erstmals nach starkem Schneefall Ende Januar im Ort aufgetaucht: „Sie finden dann wenig Nahrung im Wald. Alles, was hier grün ist, lockt sie an.“

Das Problem: Die nächtlichen Besucher beschränken sich nicht nur auf Hecken, Wiesen und Sträucher. Sie suchen auch in Vorgärten nach Essbarem, schälen die Rinde von Obstbäumen und fressen am Friedhof Pflanzen von den Gräbern. Die Gemeinde und die Dorfbewohner versuchen, sich dagegen zu wappnen. Bernd Schmitt schützt seinen Garten seit geraumer Zeit mit einem Elektrozaun. Beim Besuch des TV sind frische Hufabdrucke in den Beeten zu erkennen. „Wenn der Strom nicht an ist, dann schlüpfen die Hirsche einfach durch“, sagt Schmitt. Von seinem Haus aus lässt sich der Weg gut verfolgen, auf dem sich die Tiere durchs Dorf in Richtung Kapelle bewegen. Am Straßenrand liegt an mehreren Stellen Hirsch-Kot.

Auf dem Grundstück des Ehepaars Kaub gleich neben dem Friedhof scheinen sich die Hirsche besonders gern aufzuhalten. „Sie fressen das Efeu von der Fassade“, sagt Annemarie Kaub und deutet auf die Rückseite ihres Hauses. Im Garten gibt es noch mehr Spuren: angeknabberte Büsche, Zwetschgen- und Apfelbäume, einen Fischteich, den die Tiere mit ihren Hufen beschädigt haben, und ein Loch im 1,50 Meter hohen Drahtzaun, der die Pferde auf einer benachbarten Koppel fernhält. „Über den Zaun springen die Hirsche einfach drüber“, sagt Manfred Kaub. Seine Frau hat Anfang Februar mehrere Nächte in Folge per Handy gefilmt, wie zwei prächtige Geweihträger im Garten speisten und dann über die Straße verschwanden. „Wir wohnen seit 40 Jahren hier. So was ist bisher noch nie passiert“, sagt sie.

Zumindest den Friedhof erreicht das hungrige Rotwild nicht mehr. Die Gemeinde hat mit Unterstützung des Nationalparkamts rundherum einen Elektrozaun errichtet. „Das sieht zwar nicht schön aus, aber wir mussten etwas machen“, sagt Bernd Schmitt. Die Hirsche hätten sonst weiter den Grabschmuck gefressen. Der Zaun habe das Problem vorerst abgestellt, sagt Hermann Josef Bier, erster Beigeordneter in Neuhütten. „Die Paradelösung ist das aber nicht.“ Die Vorgärten zu schützen, sei zudem kaum möglich.

Zum 2015 gegründeten Nationalpark, in dem sich Muhl befindet, sagt Bier: „Der ist eine gute Sache, wir wollten ihn ja auch.“ Damit spielt er auf eine Theorie an, die ein Leserbrief-Schreiber aus Muhl in der Zeitung „Rund um Hermeskeil“ geäußert hat. Er verwies darin auf die im Schutzgebiet ausgewiesene Ruhezone bei Muhl, in der nicht gejagt werden darf. Es sei doch „verständlich, ja sogar sympathisch“, dass das „schlaue Rotwild“ sich darauf eingestellt habe, schrieb der Leser. Und: Was für die einen „ein Ärgernis“ sei, sei für andere ein „einmaliges Naturereignis“.

Fotostrecke: Hirsche auf Futtersuche im Hochwaldort Muhl
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Wenn Hirsche nachts in Gärten und auf dem Friedhof naschen

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Foto: Bernd Schmitt

Jan Rommelfanger ist Experte für Wildtiermanagement beim Nationalparkamt. Dort habe man registriert, sagt Rommelfanger, dass Wildtiere zuletzt häufiger aus dem Wald heraus und nah an die Dörfer herankamen. „Das gilt auch für Wildschweine, die wahnsinnig aktiv auf den Wiesen sind, obwohl im Wald die Eicheln liegen.“ Ob das Verhalten der Hirsche in Muhl mit den Jagdruhezonen zusammenhängt, dazu gebe es aber noch keine fundierten Erkenntnisse. Die Experten versuchten, mit Hilfe von Fotofallen und Kot-Kartierungen mehr Informationen zu den Aufenthaltsorten und Wegen der Tiere zu sammeln.

Die Ruhezonen gibt es laut Rommelfanger erst seit 2017. „Die Tiere merken schon, wo ihnen Gefahr droht und meiden diese Orte. Wir glauben aber, dass diese Effekte noch nicht so groß sind.“ Die Entwicklung in Muhl werde das Amt im Blick behalten. Für das akute Problem am Friedhof habe man der Gemeinde den Zaun zur Verfügung gestellt: „Langfristig müssen wir schauen, ob es bei den Schäden bleibt und ob dann andere Lösungen notwendig sind.“ In jedem Fall wolle man diese „im engen Dialog“ mit den Einwohnern finden. Wer Schälschutzmatten für seine Bäume benötige, könne sich an die Behörde wenden: „Wenn im Garten alle Bäume angeknabbert werden, kann einem schon das Herz bluten“, zeigt Rommelfanger Verständnis.

Die Muhler bleiben offenbar bislang gelassen. „Mich stören die Hirsche nicht, solange sie nicht mehr an die Gräber gehen“, sagt Albert Bier. „Das ist kein Weltuntergang, Sträucher wachsen nach“, findet Manfred Kaub. „Wir wohnen am Wald, da ist das halt so.“ Bernd Schmitt ergänzt: „Es geht darum, sich zu arrangieren und mit den Wildtieren zu leben.“

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