Wenn Winnetou das Ohr anlegt

BESCHEID. Konventioneller Reitunterricht ade: Das "Pädagogische Reitzentrum - Ponyranch Kunterbunt" ist kein verlängerter Arm der Schule. Ohne Reitplatzdrill und Zensuren erfahren Kinder, dass Reiten Spaß macht und ganzheitlich fördert.

"Seit Daria reitet, ist sie viel selbstbewusster geworden", erzählt Marita Ernst, während ihre zehnjährige Tochter den Isländer "Winnetou" mit der Bürste striegelt. Vor jedem Ritt wird das Fell der Pferde gesäubert, Hufen werden gekratzt und das Ross wird ganz allein gesattelt. "Dadurch entwickeln die Kinder einen Bezug zum Pferd. Sie schnuppern Kontakt, bevor sie von dem Pferd fordern, dass es sie trägt", sagt Reitpädagogin Inka Dieckmann. "Die Kinder machen bei uns vielfältige Erfahrungen", berichtet die Reitlehrerin, die den Pferdehof gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Joachim Schmidt betreibt. Ganz fern sei ihnen der Leistungsgedanke, denn schließlich hätten die Kinder schon vormittags in der Schule ihr Pensum erfüllt. In einer Kleingruppe aus vier Kindern hat Daria das Reiten und den Umgang mit Pferden im "Pädagogischen Reitzentrum - Ponyranch Kunterbunt" in Bescheid gelernt. Jungen, Mädchen und auch Erwachsene erfahren, dass ein Pferd kein Sportgerät, sondern ein Wesen ist, für das man Verantwortung übernehmen muss und dessen eigene Sprache man nach und nach verstehen kann. Wenn Winnetou das Ohr angelegt, weiß Daria mittlerweile, dass die Bürste vielleicht zu hart ist. Wenn der Isländer mit dem Bein scharrt, ist das kein Austreten, sondern er signalisiert damit seine Ungeduld. Vernünftig und vorausschauend mit dem Pferd umzugehen, das wollen Inka Dieckmann und Joachim Schmitt den Kindern beibringen. "Reiten ist ein Geben und Nehmen", sagt die Reitpädagogin. Mehr noch: immer wieder beobachte sie, dass das Pferd die Stimmung des Reiters widerspiegle. "Die Reaktionen der Tiere sind unverfälscht", so Dieckmann. "Wenn ein Kind ängstlich an das Pferd herangeht, wird auch das Tier unsicher." Vielen hyperaktiven Kindern hat sie mit dem Reiten bisher zu mehr innerer Ruhe verhelfen können. "Reiten fördert die Konzentration, die Grob- und Feinmotorik, und das Körperempfinden verändert sich", zählt Dieckmann die Vorteile des Lernens auf vier Hufen auf. Auch Kinder mit einer Behinderung profitieren ihrer Meinung nach sehr davon. Ein weiterer positiver Nebeneffekt sei, dass die Reiter sensibler für die Natur werden. "Kinder und Erwachsene bekommen mit, dass Pferde auf Wetteränderungen reagieren. Und sie lernen, dass sie, wenn die Saat auf den Äckern sprießt, dort nicht reiten dürfen", sagt Joachim Schmidt. "Wir wollen neue Wege gehen", sagen die Betreiber des Reitzentrums, zu dem neun Pferde gehören. Reitpädagogin darf sich nennen, wer eine pädagogische Ausbildung hat. Dazu zählt auch die Ausbildung zur Kinderpflegerin von Inka Dieckmann. Joachim Schmitt ist gelernter Krankenpfleger.

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