"Wir werden gar nicht vermisst"

WELLEN. Ein für viele trauriger Anlass wird die Mitglieder des Gesangvereins "Sangeslust" Wellen am kommenden Sonntag zum letzten Mal zusammenführen: Nach mehr als 80-jährigem Bestehen wird sich der Chor auflösen. Wie bei vielen Chören der Region mangelt es schlichtweg an Nachwuchs im Verein.

Die Einladung zur Mitgliederversammlung des Gesangvereins "Sangeslust" am Sonntag im Bürgerhaus in Wellen umfasst nicht einmal zehn Zeilen. Der Grund der geplanten Zusammenkunft ist in drei nüchternen Wörtern verpackt: "Auflösung des Vereins" lautet er. Was in Worten so sachlich "daherkommt", stimmt Manfred Badem traurig. Seit 1971 ist der Wellener Vorsitzender, hat viel Zeit und vor allem viel Herz in die Vereinsarbeit eingebracht. Umso mehr enttäuscht blickt er der bevorstehenden Auflösung des Vereins entgegen. "Von ehemals 30 Aktiven sind sieben übrig geblieben. Wir haben den Verein in den vergangenen zwei Jahren ruhen lassen und geschaut, was passiert. Aber es hat sich nichts getan. Wir konnten niemand Neues für den Verein gewinnen - schon gar keine jungen Leute. Deshalb bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es keinen Sinn mehr macht und wir uns auflösen sollten", erzählt Badem. Gestartet mit 15 Arbeitern

Eine durchaus lange Tradition und wechselhafte Geschichte wird damit sterben. Als reiner Männergesangverein startete die Organisation 1923 mit 15 Arbeitern des TKDZ-Werkes. Der Zweite Weltkrieg verpasste dem Verein eine unfreiwillige Pause. 1949 ging es weiter - wenn auch unter schwierigen Bedingungen durch Kriegsverluste. "Als eigenständiger Männergesangverein existierte die Gemeinschaft bis 1971. Dann sind wir eine Chorgemeinschaft mit dem Männergesangverein Moselland Nittel eingegangen", berichtet Badem. Kurzzeitig kam der Männergesangverein Wincheringen hinzu. "Durch die drei Vereine wurden das unseren Mitgliedern jedoch zu viele Auftritte. Wir haben uns dann zurückgezogen." Als gemischter Chor, und mit dem "Eigengewächs" Werner Haas als Leiter, starteten "die Sangeslustigen" 1975 neu. "Es war ein Sakrileg, Frauen in die Chorgemeinschaft zu nehmen", sagt Badem schmunzelnd. Zwischen 25 und 30 Sängern und Sängerinnen seien sie zu Beginn gewesen. "In den ersten Jahren gab es eine enorme Fluktuation, aber dann hat es sich stabilisiert." Erst in den vergangenen Jahren sei der Mitglieder-Schwund stetig größer geworden. "Als unser Chorleiter Werner Haas 2001 aus Altersgründen aufhörte, stellte sich für mich die Frage, ob es sich überhaupt noch lohnt, nach einem neuen Chorleiter zu suchen." 16 bis 18 Sänger brauche ein Chor mindestens, um kontinuierlich arbeiten zu können. Badem: "Wir haben immer wieder um Mitglieder geworben, sogar eine Comicbroschüre entworfen und an die Haushalte verteilt. Gewonnen haben wir gerade einmal ein Mitglied." Kinder sind zu stark beschäftigt

Die Chance, Kinder und Jugendliche für einen Gesangverein zu begeistern, sei äußerst gering. Ende der 90er-Jahre habe der Verein den Versuch gestartet, einen Kinder- und Jugendchor aufzubauen. "Am Anfang war die Begeisterung groß. Nach und nach sind die Kinder aber abgesprungen." Das Problem nach seiner Einschätzung: "Wenn man sich die Terminkalender selbst der jungen Schulkinder ansieht, wundert einen nichts. Die sind voll gepackt wie nur irgendwas." Zudem bevorzugten viele Eltern, ihre Kinder in einem Musikverein ein Instrument lernen zu lassen. Und die etwas älteren Kinder und Jugendlichen? "Sobald die anfangen, Moped zu fahren, ist es vorbei. Das Freizeitangebot ist einfach zu groß. Da haben die Gesangvereine ihre liebe Mühe mitzuhalten." Einzig im Alter zwischen 40 und 50 sieht Badem eine Chance, dass Menschen, die früher schon einmal im Chor gesungen haben, zurückkehren. "Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Das Freizeitangebot und auch die Arbeitszeiten, die vielen Arbeitnehmern viel größere Flexibilität als früher abverlangt, spielen eine Rolle", sagt der frühere Personalleiter des TKDZ. So wird er am Sonntag schweren Herzens den Verein auflösen, das Klavier ans Bürgerhaus übergeben, Notenmaterial ans Gemeindearchiv weiterleiten und das überschaubare Vereinsvermögen dem Wellener Musikverein zukommen lassen. Mehr als diese Schritte schmerzt ihn allerdings etwas anderes: "Was wirklich traurig macht, ist, dass wir in den vergangenen zwei Jahren, seit der Verein ruht, überhaupt nicht vermisst worden sind." Mitgliederversammlung am Sonntag, 22. Januar, 10 Uhr, im Bürgerhaus Wellen.

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