75 Minuten musikalische Lyrik und Meditation

Wawern · Intensität, Nähe, Konzentration - das Programm "Herzkeime" von Martina Roth und Johannes Conen in der ehemaligen Synagoge Wawern hat den Besuchern vieles abverlangt. Doch die textliche Dichte und Schönheit der Lyrik der jüdischen Autorinnen Nelly Sachs und Selma Meerbaum-Eisinger war jede Minute wert.

Wawern. "Keine leichte Kost" kündigte Hans Greis an. Der Organisator des Auftritts von Martina Roth (Rezitation und Gesang) und Johannes Cohnen (Video, Komposition, Gitarre) in der Produktion "Herzkeime" war denn auch fordernd, bisweilen anstrengend. Doch das Konzept des Duos ging auf. Die Besucher in der gut gefüllten ehemaligen Synagoge Wawern hörten Roth mucksmäuschenstill zu. Roth, kostümiert in ein einfaches gepunktetes Kleid oder einen dunklen Trenchcoat und nur mit einem alten Koffer als Requisit ausgestattet, gelang es mit bewundernswerter Spielkunst, die beeindruckenden Verse der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs (1891-1970) und Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942) spannend und anrührend vorzutragen. Optisch untermalt wurden die Gedichte durch eingespielte Videos, auf denen "Doppelgängerinnen" der Rezitatorin und gesichtslose Männer Unsicherheit, Zerrissenheit, Suche, Ziellosigkeit und Einsamkeit darstellten. Als optischer Rahmen diente eine zerbrochene Fensterscheibe, durch die man sozusagen "hinter die Fassade" schauen konnte und deren Fenstersprossen das Gitter einer Gefängniszelle darstellten, in der die Menschheit gefangen ist.
Roths Gesangsstil erinnert an den französischen Chanson, der auch immer auf den Text konzentriert ist und oft eine poetische Sprache verwendet. Mit ihrer klaren Alt-Stimme blieb sie dabei dem Kunstlied fern und orientierte sich eher an einer natürlichen, aber trotzdem gut verständlichen Aussprache. Die Gitarrenbegleitung von Johannes Conen blieb dezent im Hintergrund. Da gab es keine solistischen Ausflüge, kein Buhlen um Aufmerksamkeit. Das Instrument blieb dienend und unterstützend, wirkte dabei aber gelegentlich auch etwas monoton.
Am Ende prasselte der Beifall auf die beiden Künstler ein, die es verstanden haben, mit minimalen Mitteln Spannung und Konzentration beim Zuschauer aufrechtzuerhalten. Ein Abend, der bei manchem Besucher länger nachwirken wird. jbo

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