Mit Heidschnuckenwolle und schwerem Geschütz

Konz · Lebendige Geschichte im Freilichtmuseum: Einblicke in den Alltag der Menschen im späten Mittelalter haben am Wochenende die Letzgesellen 1477 gegeben. Ein Schmied, ein Wundarzt, Spinnerinnen und andere mehr haben ihre traditionellen Arbeitsweisen vorgestellt.

 So wird die Wolle verarbeitet (Bild links): Ute Grunwald (links) und Petra Ensch (Mitte) spinnen sie zu Garn, Gerlinde Lehnart webt daraus Bänder. TV-Foto: Daniel John

So wird die Wolle verarbeitet (Bild links): Ute Grunwald (links) und Petra Ensch (Mitte) spinnen sie zu Garn, Gerlinde Lehnart webt daraus Bänder. TV-Foto: Daniel John

Konz. Messer, Zangen, Sägen - vor Pierre Dammer liegen jede Menge Werkzeuge auf dem Tisch. Was auf den ersten Blick wie Folterinstrumente oder das Handwerkszeug eines Schlachters aussieht, ist in Wirklichkeit medizinisches Gerät. "Das hier zum Beispiel ist eine Amputationssäge", sagt der Frankfurter und hält einen metallenen Rahmen mit zwei Bügelgriffen hoch. Dann zeigt er auf eine Schweinsblase: "Wenn man ein Bein amputiert hat, dann wurde der Stumpf damit verschlossen."
Den Besuchern aus der Neuzeit kommen die ärztlichen Methoden des Mittelalters doch reichlich martialisch vor, aber Dammer - im wirklichen Leben übrigens gelernter Rettungssanitäter - sagt: "Der Mensch ist leidensfähiger, als man denkt."
Wesentlich gemütlicher geht es vor einem der alten Fachwerkhäuser des Museums zu: Hier sitzen Frauen und spinnen Wolle zu Garn. "Erst schert man die Wolle, dann wäscht und kardiert man sie", erklärt Petra Ensch, die eine Handspindel hält, wie sie bis im zwölfte Jahrhundert verwendet wurde. Beim Kardieren werden die losen Fasern zu einem Vlies ausgerichtet.
Geradezu modern für die Zeit um das Jahr 1477 ist dagegen das Spinnrad, an dem Ute Grunwald sitzt und dessen Schwungrad mit Pedalen in Gang gehalten wird. Ihre Heidschnuckenwolle ist sehr fettreich und lässt sich daher leicht verspinnen. "Kleidung wurde aber auch aus Flachs und Hanf hergestellt. Und hier in der Region sogar aus Brennnesseln", sagt Grunwald, die selbst ein Kopftuch aus Brennnesselfasern trägt.
Aus gesponnenen Fäden webt Gerlinde Lehnart auf einem einfachen Holzrahmen Bänder mit kunstvollen Ornamenten. "Auf der ganzen Welt kommen ähnliche Muster vor", sagt sie. Die aufwendige Arbeit des Spinnens erspart sich Christine Hölz. Sie passt David Levy einen Handschuh an, bei dem die Wolle verfilzt wird. Sie probiert noch, wie das am besten gelingt, aber der erste Versuch ist schon recht brauchbar geworden. Der Reiz, historische Epochen wieder aufleben zu lassen, besteht schließlich im Experimentieren. Das findet auch Karl Christmann, der in der Schmiede über dem Feuer einen Schürhaken fertigt. Im zivilen Leben ist er Schlosser, hat also täglich mit Metall zu tun. "Aber hier kann man kreativ sein!", sagt er.
Der ursprüngliche Gedanke der Letzgesellen ist es, eine Artilleriestellung um das Jahr 1477 möglichst authentisch darzustellen, und deswegen haben sie auch dieses Mal schweres Geschütz mit 50 Millimeter Kaliber aufgefahren. Davon ausgehend interessiert sich die Gruppe aber auch für die zivilen Bereiche des Lebens dieser Epoche. Und auch Raynmar der Fidler alias Ulf Agné-Thiesmeyer spielt auf und führt Intrumente wie Geige oder Psalter vor. So ergibt sich ein vielfältiges Bild vom 15. Jahrhundert - eindrucksvoll und realistischer als in jedem Geschichtsbuch.
Extra

Die Letzgesellen 1477 sind eine lose Gruppe von Menschen aus der Region, die das Spätmittelalter möglichst realistisch darstellen wollen. "Wir sind kein Verein", betont Sprecher Rüdiger Ensch. "Die einzige Verpflichtung ist die Liebe zum 15. Jahrhundert und der Geschichtsdarstellung." daj Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.letzgesellen-1477.de

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