Wie Kinder lernen, mitzufühlen

Konz · Beim bundesweiten Vorlesetag setzt eine Konzer Initiative ihren eigenen Schwerpunkt: Neun Vorleser und 140 Kinder gehen der Frage nach, wie es ist, anders zu sein. Ein Besuch in einer Schule, an der das Thema besonders wichtig ist.

Wie Kinder lernen, mitzufühlen
Foto: (h_ko )

Konz Immer mehr Kinderkehlen gackern Tom verächtlich entgegen. Während er sich verletzt zurückzieht, setzen seine Mitschüler immer noch einen drauf, sie lachen ihn dafür aus, dass er schnell rot wird. Irgendwann setzt Paul sogar seine Hände ein, um Tom zu zeigen, wo sein Platz ist.
Tom gibt es nur in einer Geschichte. Aber als Schulleiter Thomas Kürwitz seine Erzählung für fünf lange Atemzüge unterbricht, schweigen alle 20 Jungs und Mädchen der 3b in der Grundschule St. Johann. Nur das Rascheln von Kleidung ist zu hören, mit ihren Gedanken scheinen die Kinder direkt neben Tom zu stehen.
Es ist bundesweiter Vorlesetag (siehe Info), und die Konzer setzen ihren eigenen Akzent: Nicht irgendwelche Geschichten sollen die 140 teilnehmenden Kinder hören. An sieben Standorten wie der TG-Turnhalle oder dem Kinderhort tragen die Vorleser vorurteilsbewusste Kinderliteratur vor - an der Grundschule St. Johann hören die Kinder etwa Jan DeKinders "Tomatenrot". Mit vorurteilsbewussten Kinderbüchern meinen Pädagogen solche Geschichten, die keine Stereotype oder diskriminierenden Abbildungen enthalten. Sie sollen vielmehr Diskriminierung entgegenwirken und Kindern helfen, etwas über die Vielfalt von Lebensgewohnheiten zu erfahren. Gerade an der Grundschule St. Johann gebe es eine Vielfalt an Lebensgewohnheiten, sagt Schulleiter Kürwitz - die Eltern jedes zweiten Schülers kämen aus einem anderen Land.
Die Vorleser engagieren sich alle im Begleitausschuss der Partnerschaft für Demokratie in der VG Konz. Der setzt das Vorhaben aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben!" (siehe Info) um. Neben Kürwitz zählen zu den Vorlesern auch der zweite Vorsitzende des SV Konz Wolfgang Schwarz sowie Politiker wie Stadträtin Yvonne Mich (SPD) und der designierte Konzer Bürgermeister Joachim Weber (CDU).
Am bundesweiten Vorlesetag wird alle mögliche Literatur vorgelesen. Zum Konzer Schwerpunkt sagt Organisatorin Katarina Larrá vom Bundesprogramm "Demokratie leben!": "Literatur ist ein gutes Medium, um Kinder für Diskriminierung zu sensibilisieren." Sprache präge die Art, wie Kinder denken - im Guten wie im Schlechten. Deshalb sei es wichtig, dass sich Eltern und Pädagogen fragen, welches Weltbild sie ihren Kindern mit Geschichten vermitteln wollen. Die studierte Germanistin hat sich auch wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt: Ihre Doktorarbeit handelt von der Darstellung von Sinti und Roma in der Literatur.
Bereits 2013 hatte es eine bundesweite Debatte über Rassismus in Kinderbüchern gegeben. Die eine Seite bestand darauf, Kinderbücher als Kulturgut zu betrachten, das man nicht beliebig ändern dürfe. Der Literaturkritiker Denis Scheck plädierte etwa dafür. Kritiker monierten dagegen, dass Begriffe wie "Negerlein" in Otfried Preußlers kleiner Hexe das Menschenbild und den Sprachgebrauch von Kindern prägen. Der Journalist Mekonnen Mesghena hatte die Debatte angestoßen, indem er den Thienemann-Verlag bat, rassistische Äußerungen aus der kleinen Hexe zu entfernen. Der Verlag kam der Bitte schließlich nach.
Die Geschichte, die die Schüler der 3b in Konz hören, wendet sich inzwischen zum Guten: Ein Mädchen brint allen Mut auf und stellt sich hinter Tom, schließlich erkennt die Klasse, was sie da tut und nimmt Tom wieder in ihre Gemeinschaft auf. Für Schulleiter Kürwitz mindestens so wichtig wie die Geschichte selbst: das Gespräch über das Erzählte. Erstaunlich treffend formulieren einige Schüler in den ersten Minuten der Reflexion, mit welchem Problem Tom zu kämpfen hat. Fast jeder Zweite reckt seinen Finger in die Höhe, als es um die Frage geht, ob er so etwas schon einmal erlebt hat. Aus den Beiträgen ist das zögerliche Vorhaben herauszuhören: Einen Schüler wie Tom wollen wir anders behandeln.
Ein Video vom Konzer Vorlesetag finden Sie unter <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/videos" text="www.volksfreund.de/videos" class="more"%>
Extra: DAS WAR IN ANDEREN STÄDTEN LOS


Mit dem bundesweiten Vorlesetag wollen die Zeit, die Stiftung Lesen und die Deutsche Bahn seit 2004 für das Vorlesen werben und Kinder früh mit dem geschriebenen und erzählten Wort in Kontakt bringen. In Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Buchhandlungen oder an ganz ungewöhnlichen Orten lesen mehr als 100 000 Menschen anderen Menschen vor. Der bundesweite Vorlesetag ist immer am dritten Freitag im November. In Konz hat die lokale Partnerschaft für Demokratie in der Verbandsgemeinde Konz den Vorlesetag ausgerichtet und die vorurteilsbewussten Kinderbücher in den Fokus gerückt.Extra: DAS STECKT HINTER &QUOT;DEMOKRATIE LEBEN!"

 Mucksmäuschenstill ist es in der 3b der St.-Johann-Grundschule, als Schulleiter Thomas Kürwitz aus der Erzählung „Tomatenrot“ vorliest. Das Werk hat er aus gutem Grund für den Vorlesetag ausgewählt. TV-Fotos (3) Benedikt Laubert

Mucksmäuschenstill ist es in der 3b der St.-Johann-Grundschule, als Schulleiter Thomas Kürwitz aus der Erzählung „Tomatenrot“ vorliest. Das Werk hat er aus gutem Grund für den Vorlesetag ausgewählt. TV-Fotos (3) Benedikt Laubert

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Das Bundesprogramm fördert Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Toleranz einsetzen - wie etwa die Partnerschaft für Demokratie in der VG Konz. Letztere hat den Vorlesetag in Konz ausgerichtet. Organisatorin Katarina Larrá will die Aktion 2018 nach Möglichkeit wiederholen.

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